
Den reflexartigen Kampf gegen Bürokratie halte ich für kurzsichtig. Klar, Formulare nerven. Aber Regeln sind oft der Auslöser, dass die LüKK überhaupt vorankommt. Statt „Abbau!“ zu rufen, sollten wir uns fragen: „Welche Bürokratie brauchen wir?“ Denn Bürokratie ist kein Schicksal, sondern gestaltbar. Ein Plädoyer für Regeln, die nicht bremsen, sondern beschleunigen.
Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster. Die jüngst von vielen Medien aufgegriffene Forderung von neun Wirtschaftsverbänden, darunter der VDMA und der ZVEI, Bürokratie abzubauen, ermüdet mich. Klar, wer mag schon Formulare, Fristen und Vorschriften. Doch bevor die Lüftungs-, Klima- und Kältebranche (LüKK) in den Chor der Bürokratie-Bekämpfer einstimmt, lohnt ein differenzierterer Blick. Denn Regeln sind nicht nur Ballast. Sie sind oft das, was uns vor Chaos, Willkür und Stillstand bewahrt.
Der Ruf nach weniger Bürokratie ist derweil so alt wie die Bürokratie selbst. Das Paradoxe dabei: Trotz aller Abbauversprechen wächst der Regulierungsdschungel. Warum? Weil Bürokratie Antworten auf reale Probleme gibt. Jede neue Norm entsteht aus einem mehr oder weniger guten Grund. Sei es ein Skandal, eine Krise oder schlicht technischer Fortschritt. Die LüKK kennt das. Ob Ökodesign-Verordnungen oder F-Gase-Verordnung – viele Vorgaben haben ihren Ursprung in der Erkenntnis, dass Nichtregulierung oft teurer kommt als Regeln.
Dass Vorschriften lästig sein können, ist unbestritten. Doch sie sind auch Antrieb. Ohne gesetzlich verankerte CO₂-Reduzierungsziele gäbe es keinen Wärmepumpen-Boom. Ohne Energieeffizienzvorgaben wären wir vielleicht noch bei drehzahlstatischen Ventilatoren. Bürokratie zwingt uns, besser zu werden – ob wir wollen oder nicht.
Und Bürokratie schafft Rechtssicherheit. Stellen Sie sich vor, jeder Hersteller könnte frei entscheiden, welche Standards er einhält. Das Ergebnis wäre ein Flickenteppich aus Mindestqualitäten, bei dem am Ende der Kunde oder die Umwelt die Zeche zahlen muss. Bürokratie ist in diesem Sinne vertrauensbildende Infrastruktur. Sie sagt: Wer diese Regeln einhält, macht es richtig.
Natürlich gibt es überflüssige Bürokratie. Doch wer nur „Abbau!“ ruft, übersieht, dass viele Vorgaben direkt aus der Branche kommen. Normen wie die DIN EN 16798 „Energetische Bewertung von Gebäuden – Lüftung von Gebäuden“ sind keine Laune von Brüsseler Bürokraten, sondern das Ergebnis teils jahrzehntelanger Fachdebatten – oft unter Beteiligung der gleichen Verbände, die heute über Überregulierung klagen.
Die Frage ist also nicht „Weniger Bürokratie?“, sondern „Welche Bürokratie? Und wie detailliert muss dieses sein?“ Ein Beispiel: Die F-Gase-Verordnung hat die Branche zunächst belastet. Heute profitieren jene Unternehmen, die früh auf natürliche Kältemittel gesetzt haben. Weil Regulierung Planungssicherheit schafft.
Vielleicht gibt es wirklich zu viele Vorschriften. Und ja, manche mögen unsinnig sein, sodass sie zu Recht als Zeitdiebe gelten. Aber der reflexhafte Ruf nach „weniger“ verkennt, dass Bürokratie oft nur die Symptome unserer komplexen Welt abbildet. In einer Branche wie der LüKK, die zwischen Komfort, und Gesundheitschutz, Klimaschutz, Energiewende und Digitalisierung steht, sind klare Regeln keine Belastung, sondern überlebensnotwendig.
Also: Lasst uns nicht seufzend sagen, dass früher alles besser gewesen sei. Früher gab es auch keine Wärmepumpen, die Häuser nahezu emissionsfrei heizen. Das und mehr verdanken wir auch – oder gerade – der Bürokratie. Vielleicht sollten wir also nicht weniger davon fordern, sondern bessere Bürokratie. Bürokratie ist kein Schicksal, sie ist gestaltbar.
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Sehr geehrter Herr Reinhardt,
Thema toll von Ihnen aufbereitet. Ich habe eigentlich mit großem Echo gerechnet. Sehr viele tangiert interessanterweise das Thema augenscheinlich nicht wirklich. Obwohl am „Stammtisch“ drüber viel geredet und schwadroniert wird.
Mit besten Grüßen
Ing. Anton Pfneisl
Sehr geehrter Herr Reinhardt
vorerst möchte ich meine Ansicht zu „Regeln“ klarstellen.
– Verordnungen und Gesetze: es gibt im Bauordnungsrecht Gesetze die auf Landes- oder Bundesebene verfasst und demokratisch (bis auf die Lobbyisteneinflüsse) erstellt werden und einzuhalten sind.
>> Abweichungen nur begrenzt möglich.
– technische Regeln, Normen und Richtlinien diese sind von einer Mehrzahl von Fachleuten erstellt und stellen die überwiegende Ansicht zu den allgemein anerkannten Vorgaben dar, das ist ebenso ziemlich demokratisch
>> Abweichen möglich, soweit nicht eingeführt und eine gleichwertige Lösung gefunden wird, oder diese in den Genehmigungen verbindlich gefordert sind.
Ich bin persönlich sehr für den Abbau von bürokratischen „Blüten“, weigere mich allerdings damit auch generell den Abbau von Vorschriften damit zu benennen. Denn die Haftung im Streitfall wird damit nicht besonders erleichtert, vielmehr wird vor Gericht eher gefragt, ob der „Verantwortliche“ persönlich alles Menschenmögliche getan hat, um den Schaden zu vermeiden.
Der generelle Abbau von Vorschriften und Nachweise führt dazu, dass der Verantwortliche (Betreiber mit Verkehrssicherungspflicht) zwar nicht mehr so richtig weiß, was er zu tun oder zu unterlassen hat, aber dennoch dafür verantwortlich und haftbar ist.
Mein derzeitiger Vergleich: Wir schaffen die Hochhausrichtlinie ab bis wieder ein Hochhaus brennt und alle (Populisten) dann nach dem Rechtsstaat schreien, der („wiedermal“) versagt hätte.
Blöd ist nur, dass derzeit auch die gemäßigten Politiker auf diesen „Abschaffungszug“ populistisch aufspringen, um Wechselwähler zu ködern.
Ich halte es für ratsam das Zitat von Walter Scheel als Politiker als Wahlspruch zu beherzigen: „Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.“
Dies ist mein Rat besonders an Herrn Merz und Herrn Söder in vorderster Front.
Bei den Populisten von den „Schreiparteien“ ist dies voraussichtlich wohl nicht als Belehrung fruchtbar.
Bleibt unabhängig in der eigenen Meinung, selbstkritisch, demokratisch und lasst euch nicht vom Mainstream auf die einfachen Lösungen beschränken. Einfach war die Welt noch nie.
Mit freundlichen Grüßen
SVfS Dipl.-Ing. (FH) Hans Christian Sieber
Ich kann dem Artikel nur voll zustimmen. Der Ruf nach Abbau der Bürokratie ist oft populistisch motiviert und kommt auch sehr häufig von einer (oft ratlosen und überforderten) Politik und ebensolchen Interessensvertretern. Und endet immer dann, wenn der Abbau von Bürokratie gegen die eigenen Interessen geht.
Sinnvolle Regeln wie technische Normen, die ausgewogen ohne einseitige Produkt-Lastigkeit, von Experten erarbeitet werden, stellen eine wertvolle Orientierungshilfe als Stand der Technik dar. Ohne technische Normen hätten wir wohl eher „den Wilden Westen“.