Agora Energiewende: Deutschlands CO₂-Ausstoß sinkt 2023 auf Rekordtief

Wie die Agora Energiewende, Berlin, im Januar 2024 berichtete, sind im Jahr 2023 die CO₂-Emissionen in Deutschland gegenüber 2022 um 73 Mio. t CO₂ (-9,8 %) auf 673 Mio. t CO₂ gesunken. Dies ist der niedrigste Stand seit 70 Jahren. Ein Großteil der Minderung geht laut Agora auf einen starken Rückgang des Kohleverbrauchs in Kraftwerken zurück. Gleichzeitig sanken die Emissionen durch konjunktur- und krisenbedingte Produktionsrückgänge in der energieintensiven Industrie. Demgegenüber haben die Sektoren Gebäude und Verkehr im Jahr 2023 trotz geringeren Emissionen als 2022 erneut die im Klimaschutzgesetz (KSG) vorgegebenen Minderungsziele verfehlt. Nachfolgend fasst cci Wissensportal wichtige Inhalte der 123 Seiten starken Agora-Studie „Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023. Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf 2024“ zusammen.

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2023 sanken in Deutschland die Treibhausgasemissionen gegenüber 2022 um 73 Mio. t CO₂ (-9,8 %) auf 673 Mio. t CO₂. Dies entspricht einem Rückgang gegenüber dem Referenzjahr 1990 (1.251 Mio. t CO₂) um 46,2 %. Zugleich lag der CO₂-Ausstoß im Jahr 2023 rund 49 Mio. t CO₂ (-6,8 %) unter dem im Klimaschutzgesetz (KSG) vorgegebenen Jahresziel von 722 Mio. t CO₂. Verantwortlich für den Rückgang im Jahr 2023 sind laut Agora besonders zwei Entwicklungen:
Erstens sank die Kohleverstromung auf den tiefsten Stand seit den 1960er Jahren, wodurch allein 44 Mio. t CO₂ eingespart wurden. Gründe hierfür waren ein Rückgang der Stromnachfrage, vermehrte Stromimporte aus Nachbarländern und eine leicht gestiegene Stromerzeugung aus regenerativen Energien.
Zweitens gingen die Emissionen im Sektor Industrie deutlich zurück. Dies ist, wie bereits 2022, besonders auf krisen- und konjunkturbedingte Produktionsverringerungen der energieintensiven Unternehmen zurückzuführen. Während die gesamtwirtschaftliche Leistung im Jahr 2023 um etwa 0,3 % schrumpfte, ging die energieintensive Produktion 2023 um rund 11 % zurück.

Fragliche Nachhaltigkeit der Einsparungen

Den Agora-Berechnungen zufolge sind aber nur rund 15 % des CO₂-Rückgangs im Jahr 2023 nachhaltige Einsparungen. Diese ergaben sich vor allem aus dem Zubau regenerativer Energien, Effizienzsteigerungen sowie aus dem Umstieg auf CO₂-ärmere Brennstoffe und ökologischere Systeme. Der Großteil der Emissionsminderungen geht der Analyse zufolge auf kurzfristige Effekte wie krisenbedingte Produktionsrückgänge und einen geringeren Stromverbrauch zurück. Daher weist Agora darauf hin, dass der größte Anteil der Emissionseinsparungen 2023 weder industrie- noch klimapolitisch nachhaltig ist und die Emissionen 2024 wieder steigen könnten.

Abbildung 1 zeigt eine Übersicht zu Entwicklungen der Treibhausgasemissionen in Deutschland von 1990 bis 2023. Nachfolgend werden die Entwicklungen in den einzelnen Sektoren erläutert.

(Abb. © Agora Energiewende)
Abbildung 1: Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland in den einzelnen Sektoren von 1990 (Referenzjahr) bis 2023 und Zielpfade für die Sektoren zu Emissionsminderungen gemäß dem Klimaschutzgesetz (KSG) bis 2030. (Alle Abb. © Agora Energiewende)

Der Sektor Gebäude

Statt der im KSG vorgeschriebenen Maximalmenge von 101 Mio. t CO₂ verursachten Gebäude im Jahr 2023 109 Mio. t CO₂ und lagen damit nur um 3 Mio. t CO₂ (-2,7 %) unter dem Vorjahr. Damit verfehlte der Gebäudesektor zum vierten Mal in Folge das Jahresziel (Abbildung 2). Die erreichten Minderungen der Emissionen war laut Agora wesentlich darauf zurückzuführen, dass Haushalte aufgrund hoher Energiepreise Heizenergie gespart haben und es 2023 in der Heizperiode eine milde Witterung gab.
Die Tatsache, dass der Gebäudesektor trotz der milden Witterung, hohen Preisen für Energie und Sparbemühungen beim Heizen das Klimaschutzziel abermals verfehlt hat, zeigt laut Agora, dass in diesem Sektor umgehend zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen erforderlich sind. Je nach Witterung könnten die Gebäudeemissionen bereits 2024 wieder steigen.

(Abb. © Agora Energiewende)
Abbildung 2: Entwicklung der Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor von 1990 bis 2023 und Zielpfad zu Emissionsminderungen gemäß Klimaschutzgesetz (KSG) bis 2030

Wie Abbildung 3 zur Entwicklung der Beheizungsstruktur des Wohnungsbestands zeigt, wurden 2023 immer noch 73 % der Wohnungen mit Wärmeerzeugern beheizt, in denen die fossilen Energieträger Gas (50 %) und Erdöl (23 %) eingesetzt werden. Hier gibt es für die kommenden Jahre durch den Umstieg auf ökologische Heizsysteme erhebliche Emissionseinsparpotenziale. Der Anteil an Wärmepumpen wächst zwar stetig, betrug 2023 aber lediglich 6 %.

(Abb. © Agora Energiewende)
Abbildung 3: Die Beheizungsstruktur des deutschen Wohnungsbestands von 1995 bis 2023

2023 hat der Absatz von Wärmeerzeugern erstmals seit den 1990er Jahren die Marke von einer Million Geräten überschritten (Abbildung 4). Die insgesamt rund 1,354 Millionen verkauften Geräte entsprechen einem Plus von 38,2 % gegenüber 2022. Davon entfielen 69,7 % auf fossile Anlagen. Es wurden rund 834.000 Gaskessel (+39,2 % gegenüber 2022) und 109.000 Ölkessel (+91,0 %) verkauft. Diese hohen Absatzzahlen sind laut Agora auch auf Vorzieheffekte zurückzuführen: Die Kontroverse zur Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) habe dazu geführt, dass viele Gebäudeeigentümer der seit 2024 geltenden Regelung „Mindestens 65 % regenerative Energie bei neuen Wärmeerzeugern“ zuvorkommen wollten.
Das Jahr 2023 war auch ein Rekordjahr für Wärmepumpen. Insgesamt wurden rund 350.000 Wärmepumpen und damit 48,3 % mehr als im Vorjahr verkauft. Bei den bis September 2023 verkauften Wärmepumpen handelt es sich zu 93 % um Luft/Wasser-Wärmepumpen, gefolgt von Sole/Wasser-Wärmepumpen (6 %) und Wasser/Wasser-Wärmepumpen (1 %). Wie schon in den Vorjahren wurden laut Agora mehr Wärmepumpen im Bestand als im Neubau installiert.

(Abb. © Agora Energiewende)
Abbildung 4: Entwicklung des Verkaufs von Wärmeerzeugern in Deutschland von 2012 bis 2023

Der Sektor Energiewirtschaft

Die Gesamtemissionen der Energiewirtschaft, die neben dem Stromsektor auch Raffinerien und Fernwärme erfasst, betrugen 210 Mio. t CO₂ und lagen damit um 47 Mio. t CO₂ beziehungsweise um 18,3 % unter dem Vorjahresniveau (256 Mio. t CO₂).
Die Emissionen aus der Stromerzeugung sanken 2023 gegenüber 2022 um 46 Mio. t CO₂ auf 177 Mio. t CO₂ (-21,0 %). Diese Emissionsminderungen sind überwiegend auf den starken Rückgang der Verstromung aus Braunkohle (-29 Mio. t CO₂) und Steinkohle (-15 Mio. t CO₂) zurückzuführen. Für diese Entwicklung nennt der Agora-Bericht drei Gründe:
Erstens einen außergewöhnlichen Rückgang beim Stromverbrauch um 3,9 % gegenüber 2022 aufgrund der fossilen Energiekrise.
Zweitens hat Deutschland 2023 mehr Strom importiert (69 TWh) als exportiert (58 TWh).
Drittens verzeichneten die regenerativen Energien in Deutschland ein Erzeugungsplus von 5,5 %.
Laut Agora trugen zu sinkenden Strompreisen 2023 auch Rekordwerte beim Solarzubau bei. 14,4 GW Photovoltaik kamen 2023 hinzu. Das waren 6,2 GW mehr als im Spitzenjahr 2012. Obwohl es 2023 weniger Sonnenstunden gab, produzierten Solaranlagen mit 61 TWh eine Terawattstunde mehr Strom als im Vorjahr. Auch die Windenergieerzeugung verzeichnete ein Rekordjahr. Gründe dafür waren günstige Wetterbedingungen und ein leichter Zubau von Windkraftanlagen. Wind blieb mit 138 TWh die größte Stromquelle und produzierte mehr Strom als die Summe der deutschen Kohlekraftwerke mit 132 TWh (Abbildung 5).

(Abb. © Agora Energiewende)
Abbildung 5: Der deutsche Strommix im Jahr 2023. Mit 261 TWh hatten regenerative Energien einen Anteil von 53 % zur Stromerzeugung.

Der Sektor Industrie

Auch der Industriesektor verzeichnete 2023 gegenüber 2022 deutliche Emissionsrückgänge um 24 Mio. t CO₂ beziehungsweise um 14,3 %. Mit Gesamtemissionen von 144 Mio. t CO₂ lag dieser Sektor deutlich unter dem Jahresziel gemäß KSG von 173 Mio. t CO₂. Damit sind die Emissionen im Sektor Industrie auf den niedrigsten Stand seit ihrer Erfassung im Jahr 1990 gesunken. Als Begründung dazu berichtet Agora: „Die Folgen der fossilen Energiekrise und der Konjunktureintrübung zeigten sich im CO₂-Ausstoß der energieintensiven Industrie besonders deutlich“.

Der Sektor Verkehr

Zum dritten Mal in Folge verfehlte der Verkehrssektor das im KSG festgelegte Ziel. Die Emissionen sanken 2023 gegenüber 2022 nur um 1,4 % auf 145 Mio. t CO₂. Dies entspricht gegenüber dem Referenzjahr 1990 einer Minderung um lediglich 9,2 %. Damit überschritten die Verkehrsemissionen die im KSG festgelegte Höchstmenge von 133 Mio. t CO₂ um 12 Mio. t CO₂ (+9,0 %).

Der Sektor Landwirtschaft

Die Emissionen aus der Landwirtschaft lagen im Jahr 2023 bei rund 61 Mio. t CO₂ (2022: 62 Mio. t CO₂) und unterschritten damit deutlich das Klimaziel für den Bereich von 67 Mio. t CO₂.

Minderungsziele bis 2030 gemäß Klimaschutzgesetz

Nach der Darstellung der Emissionsdaten in den einzelnen Sektoren erfolgt nun ein Ausblick bis zum Jahr 2030. Dazu enthält das Klimaschutzgesetz Vorgaben, wieviel CO₂ die einzelnen Sektoren 2030 noch maximal emittieren dürfen (Abbildung 6). Hinzu kommen jährliche Zwischenschritte, um die Fortschritte bei den Emissionsminderungen beurteilen zu können.

(Abb. © Agora Energiewende)
Abbildung 6: Zielpfade zu jährlichen Verringerungen der CO₂-Emissionen (in Mio. t) in den einzelnen Sektoren von 2020 bis 2030 gemäß den Vorgaben des Klimaschutzgesetzes. In der Tabelle bedeutet „NV“, dass es für die Energiewirtschaft keine konkreten Vorgaben zu jährlichen Emissionsminderungen gibt, sondern lediglich eine Gesamt-Zielvorgabe für 2030.

Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie stark die Emissionen in den einzelnen Sektoren von 2022 beziehungsweise 2023 (Ist-Werte) bis 2030 noch verringert werden müssen, um die Vorgaben des KSG einzuhalten.

(Abb. © Agora Energiewende)
Tabelle: CO₂-Emissionen in den einzelnen Sektoren für 2022 und 2023 (Ist-Werte) und Minderungsziele bis 2030 (Abb. © cci Dialog GmbH)

Gemäß der Tabelle ergeben sich für die Sektoren Energie (-49 %), Verkehr (-42 %) und Gebäude (-39 %) noch große Herausforderungen, um auf Basis der Werte von 2023 die Ziele des KSG für 2030 zu erfüllen. Im Sektor Industrie erscheint die Minderungsquote um 17 % moderat. Allerdings sind die Minderungen der Emissionen von 2021 (182 Mio. t CO₂) bis 2023 (144 Mio. t CO₂) stark auf Produktionsrückgänge zurückzuführen.

Folgerungen

Die Folgerungen aus den Emissionsdaten für 2023 fasst Agora wie folgt zusammen:
Trotz der Minderungen gegenüber 2022 klafft zum Erreichen der Klimaziele 2030 weiterhin eine deutliche Lücke. Um diese zu schließen, ist die Einführung zusätzlicher Klimaschutzmaßnahmen im Jahr 2024 zentral. Deutschland braucht eine Investitionsoffensive zum Erreichen der Klimaziele. Notwendig seien staatliche Mittel etwa für klimaneutrale Heizungen und zur Transformation der Industrie. Auch im Bereich der Strom-, Wärme- und Wasserstoffnetze stehen erhebliche Investitionen an. Die Bundesregierung steht 2024 vor der Aufgabe, die erforderlichen Investitionen für die Klimaneutralität endlich zuverlässig abzusichern. Ein kluger Instrumentenmix kann sicherstellen, dass wir mehr Klimaschutz für jeden Euro aus der Staatskasse erreichen.

Die gesamte Agora-Studie finden Sie hier (https://www.agora-energiewende.de/publikationen/die-energiewende-in-deutschland-stand-der-dinge-2023#downloads).

Ein Beitrag „AGEB meldet: Energieverbrauch 2023 um 7,9 % gesunken“ steht in cci Wissensportal unter der Artikelnummer cci264438 (https://cci-dialog.de/ageb-meldet-energieverbrauch-sank-2023-um-79-cci_wissensportal/).

Der Beitrag wurde für cci Wissensportal von Dr. Manfred Stahl erstellt (Stand: Februar 2024)

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