Ein neuer Bericht von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS), „Managing the new age of construction risk“, untersucht akute und langfristige Trends im Bausektor und stellt die zehn größten Risiken für die Baubranche und den Anlagenbau vor.
Der globalen Bauindustrie steht eine anhaltend starke Wachstumsphase bevor, die durch staatliche Infrastrukturausgaben und den Übergang zu einer klimaneutralen Netto-Null-Gesellschaft getrieben wird. Die Umstellung auf nachhaltigere Gebäude und Infrastruktur, der Ausbau von Anlagen zur Erzeugung „sauberer“ Energie und die Einführung moderner Baumethoden werden allerdings die Risikolandschaft verändern und zu radikalen Veränderungen bei Design, Materialien und Prozessen führen, so die Studie. Diese Herausforderungen kommen zu den derzeit angespannten Versorgungsketten, einem Material- und Arbeitskräftemangel und gestiegenen Kosten hinzu, und das alles vor dem Hintergrund jahrelang knapper Margen in der Branche.
„Covid-19 hat ein neues Zeitalter für die Bauindustrie eingeläutet“, sagte Robert Maurer, Leiter der Technischen Versicherungen der AGCS in Zentral- und Osteuropa. „Während die Bauprojekte während der Pandemie überwiegend weiterliefen und weiteres Wachstum zu erwarten ist, hat sich das allgemeine Umfeld grundlegend verändert. Die Branche sieht sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Es gibt Lieferengpässe; Material und Mitarbeiter sind knapp, die Kosten steigen und über allem steht ein verstärkter Fokus auf Nachhaltigkeit. Darüber hinaus können die beschleunigte Umsetzung von Sparmaßnahmen und die Einführung neuer Techniken und Konstruktionsverfahren zu einer Zunahme der Risiken für Bauunternehmen und Versicherer gleichermaßen führen. Kontinuierliche Risikoüberwachung und Managementkontrollen werden daher in Zukunft von entscheidender Bedeutung sein.”
Die starken Wachstumsaussichten für die Baubranche und den Anlagenbau beruhen auf dem Ziel einer beschleunigten CO2-Reduzierung in allen Bereichen der Wirtschaft. Dies erfordert erhebliche Investitionen in alternative Energieformen wie Wind, Sonne und Wasserstoff, Stromspeicher- und -übertragungssysteme, Batterieproduktionsanlagen oder Ladeinfrastruktur. Von Gebäuden wird nicht nur erwartet, dass sie emissionsärmer werden, sondern auch besser gegen extreme Wetterereignisse geschützt sind. Gerade in katastrophengefährdeten Regionen werden bessere Küsten- und Hochwasserschutzeinrichtungen sowie Abwasser- und Entwässerungssysteme benötigt.
Die Regierungen vieler Länder planen umfangreiche Investitionen in große Infrastrukturprojekte, um die Wirtschaftstätigkeit nach der Pandemie anzukurbeln und den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft voranzutreiben.
Auf vier Länder – China, Indien, die USA und Indonesien – werden in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich fast 60 % des weltweiten Wachstums im Baugewerbe entfallen. Der Green Deal der EU will einen Investitionsplan in Höhe von rund 1 Billion € über die nächsten zehn Jahre mobilisieren.
Schattenseiten des Baubooms
Der erwartete Boom bringt neben den Vorteilen auch eine Reihe von Herausforderungen mit sich. Mittelfristig könnten plötzliche Nachfrageschübe die Versorgungsketten zusätzlich unter Druck setzen und bestehende Engpässe bei Material und Fachkräften verschärfen, was zu Termin- und Kostenüberschreitungen führen könnte. Darüber hinaus müssen viele in der Branche die Umsetzung von Effizienz- und Kostensenkungsmaßnahmen beschleunigen, wenn die Gewinnspannen durch Covid-19 zusätzlich geschmälert werden; dies könnte die Qualität und das Wartungsniveau beeinträchtigen und die Fehleranfälligkeit erhöhen. Eine AGCS-Analyse von etwa 30.000 untersuchten Branchenschäden zwischen 2016 und Ende 2020 zeigt, dass Konstruktionsmängel und mangelhafte Ausführung eine der Hauptursachen für Verluste im Bau- und Ingenieurswesen sind und rund 20 % des Schadenwerts ausmachen.
Der verstärkte Nachhaltigkeitstrend wird die bisherige Risikolandschaft im Bausektor stark beeinflussen, so die AGCS-Studie. Nach Angaben des UN-Umweltprogramms sind der laufende Betrieb von Gebäuden und die Bauindustrie weltweit für 38 % der energiebedingten Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Um diese zu senken, stehen Sanierungen oder Nutzungsänderungen von Bestandsgebäuden an. Außerdem müssen neue Materialien und Bauverfahren in relativ kurzer Zeit eingeführt werden. Dies birgt ein erhöhtes Risiko von Mängeln oder kann unerwartete Folgen für Sicherheit, Umwelt oder Gesundheit haben. Als nachhaltiges und kosteneffizientes Material hat zum Beispiel die Verwendung von Holz im Bauwesen in den letzten Jahren zugenommen. Dies hat jedoch Auswirkungen auf das Risiko von Brand- und Wasserschäden. Die AGCS-Analyse von Schadenfällen in der technischen Versicherung zeigt, dass sich Brand- und Explosionsereignisse in den letzten fünf Jahren bereits mehr auf als ein Viertel (26 %) des Schadenwerts belaufen und damit die teuerste Schadensursache sind.
Die Kehrseite der regenerativen Energien
Der Ausbau regenerativer Energien ( Anmerkung der Redaktion: Hier sind klassischerweise Wind und Sonne gemeint) bringt auch neue Risiken mit sich. Offshore-Windprojekte werden immer größer, bewegen sich weiter hinaus aufs Meer und in tiefere Gewässer, was bedeutet, dass die Kosten im Zusammenhang mit Verzögerungen oder Reparaturen steigen. Offshore-Windparks können ebenso wie Onshore-Wind- und Solarprojekte von Serienschäden betroffen sein. Ein Konstruktions- oder Herstellungsfehler in einer Turbine kann sich beispielsweise auf viele Projekte auswirken. Auch fehlerhafte Fundamente in Solarparks und -anlagen haben zu hohen Schadenssummen geführt. Reparaturen an Unterseekabeln, die Tausende von Tonnen wiegen und für deren Verlegung Spezialschiffe erforderlich sind, können mehr als ein Jahr dauern. Allein eine Offshore-Konverterstation kann bis zu 1,5 Mrd. US-$ kosten, vergleichbar mit einer Ölplattform.
Modulares Bauen – anfällig für Serienfehler?
Letztlich haben moderne Bau- und Produktionsmethoden das Potenzial, das Bauwesen radikal zu verändern, indem sie Risiken von der Baustelle wegverlagern und auf neue Verfahren setzen. Insbesondere die modulare oder Fertigbauweise bietet viele Vorteile, wie zum Beispiel ein kontrolliertes, fabrikbasiertes Qualitätsmanagement, weniger Baumüll, eine im Vergleich zu traditionellen Methoden halbierte Bauzeit und eine geringere Beeinträchtigung der Umgebung. Allerdings gibt es auch Bedenken hinsichtlich des Risikos von sich wiederholenden Schadensfällen. „Bei modularen Methoden besteht ein erhöhtes Risiko von Serienschäden, da ein und dasselbe Teil in mehreren Projekten verwendet werden könnte, bevor ein Fehler entdeckt wird“, erklärte Robert Maurer.
Der Fachkräftemangel im Baugewerbe wird den Trend zu Modulbau und Automatisierung wahrscheinlich noch verstärken. Gleichzeitig bringt die Digitalisierung Cyberrisiken mit sich, gegen sich die Ingenieurs- und Bauunternehmen schützen müssen. Heute sind die Beteiligten auf einer Großbaustelle über verschiedene IT-Plattformen miteinander verbunden, was ihre Anfälligkeit erhöht. Cyberrisiken am Bau können von böswilligen Versuchen, sich Zugang zu sensiblen Daten zu verschaffen, über die Unterbrechung der Baustellenkontrolle und den damit verbundenen Diebstahl bis hin zur Unterbrechung der Lieferkette und der potenziellen Verfälschung von Projektentwurfsdaten reichen.
Besserer Schutz von Baustellen vor Naturkatastrophen
Auf den Baustellen müssen auch die Auswirkungen von klimabedingten Ereignissen wie Waldbränden, Sturzfluten und Erdrutschen stärker berücksichtigt werden. Die Schadenanalyse der AGCS zeigt, dass Naturkatastrophen bereits die zweitteuerste Ursache für Schäden im Baugewerbe sind und in den letzten fünf Jahren 20 % des Schadenwerts ausmachten.
Wasserschäden sind nach wie vor eine der Hauptschadensursachen während der Bauphase. AGCS hat eine Reihe von großen Schäden durch Leckagen in Druckwasser- oder Feuerlöschsystemen beobachtet, die unentdeckt bleiben oder in Zeiten auftreten, wenn kein Baustellenpersonal anwesend ist. Systeme zur Erkennung und Überwachung von Wasserlecks können dazu beitragen, die Häufigkeit und den Schweregrad von Wasserschäden zu reduzieren und so teure Reparaturen und Projektverzögerungen zu vermeiden.
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