Das Lüften über die Fenster ist nur praktikabel, wenn eine nutzerunabhängige Lüftung zum Feuchteschutz über eine entsprechend undichte Gebäudehülle gegeben ist. Die DIN 1946 Teil 6 „Raumlufttechnik – Lüftung von Wohnungen – Allgemeine Anforderungen, Anforderungen zur Bemessung, Ausführung und Kennzeichnung, Übergabe/Übernahme (Abnahme) und Instandhaltung“ (Weißdruck Dezember 2019) regelt die Belüftung von Wohngebäuden und legt Grenzwerte und Berechnungsmethoden für den notwendigen Luftaustausch fest. Der Beitrag erläutert die wesentlichen Inhalte.
(Mitglieder von cci Wissensportal lesen weiter auf Seite 2.)
Artikelnummer: cci6496
Jede Art der Vervielfältigung, Verbreitung, öffentlichen Zugänglichmachung oder Bearbeitung, auch auszugsweise, ist nur mit gesonderter Genehmigung der cci Dialog GmbH gestattet.
Althergebrachtes Lüften ist out
Doch, Herr Erhorn, auch wenn es vielfach aus Unkenntnis der Nachteile noch praktiziert wird: Das althergebrachte Lüften ist out, wenn neben dem Feuchteschutz auch die Faktoren Gesundheit und überhöhte Lüftungswärmeverluste betrachtet werden. Letztere treten auf, wenn über Fenster in Kippstellung schon bei niedrigen Winddrücken in der Praxis Luftwechselraten vorkommen, die um ein Vielfaches höher sind als der theoretisch erforderliche Mindestluftwechsel. Viel wertvolle Heizwärme wird dann zum Fenster hinaus gelüftet. In Gebäuden mit Lüftungsanlagen werden meist nur dann die Fenster zum Lüften und zur Abfuhr von Luftinhaltstoffen, die die Gesundheit beeinträchtigen, geöffnet, wenn die Luftwechselraten nicht stimmen. Es findet sich noch immer die Ansicht, dass Luftwechselraten unter 0,3/h ausreichend seien, um verträgliche Raumluftkonditionen zu erzielen. Dies führt dann trotz Lüftungsanlage dazu, dass auch noch über die Fenster gelüftet wird. Wer über eine Lüftungsanlage mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung verfügt, kann die Anlage so betreiben, dass sich insgesamt eine Luftwechselrate von ca. 0,8 bis 1,0 ergibt, ohne Energiesparziele zu verletzen. Und man hat seiner Gesundheit noch einen großen Gefallen getan. Dann ergibt sich von allein ein Lüftungsverhalten, das ohne Vorschriften auskommt, und mit Fensteröffnen, allerdings nicht aus Gründen der Lüftungsnotwendigkeit.
Aufklärung über die Zusammenhänge könnte helfen, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Falsch ist meines Erachtens die Botschaft, es sei richtig, so weiterzulüften wie bisher, weil wir es jetzt im Hinblick auf die Gesundheit und zur Vermeidung unsinniger Wärmeverluste und nicht nur aus Komfortgründen einfach besser können.
Prof. Peter Müller, Europäisches Testzentrum Für Wohnungslüftungsgeräte (TZWL), Dortmund
Fensterlüftung nicht verteufeln
Ich möchte keine Diskussion kontra Lüftungsanlagen anstoßen, aber darauf hinweisen, dass auch Fensterlüftung nach wie vor eine effektive Lüftungsstrategie ist, die nicht verteufelt werden sollte. Selbst Bewohner von mechanisch belüfteten Wohnungen schätzen diese Lüftungsart sehr, wie Messreihen zum Bewohnerverhalten belegen. Interessant ist dabei, dass sich dieses „natürliche“ Verhalten im Laufe der Jahre so gut wie gar nicht verändert hat. Auch sind die Feuchteschäden in Wohnungen mit ansteigender Sanierungsrate nicht (wie häufig aus Fachkreisen der Lüftungsbranche gemutmaßt wird) spürbar angestiegen, sondern liegen seit 15 Jahren ziemlich konstant bei 14 %.
Bei diesen Feuchteschäden nehmen die Schimmelpilzschäden wiederum nur eine untergeordnete Größenordnung ein, die Hauptprobleme liegen weiterhin im Bereich der aufsteigenden Feuchte und undichter Dächer. In der Regel treten die Probleme aufgrund einer schlechten Bausubstanz auf. Um diese zu beseitigen, muss vorrangig an den Ursachen gearbeitet werden (niedrige Oberflächentemperatur). Daher sind Sanierungen umfassend vorzunehmen, Wärmebrücken müssen mit der Sanierung behoben werden.
Die Installation einer Wohnungslüftungsanlage ist keine gute Strategie, um Wärmebrücken zu „heilen“, dass muss baulich erfolgen. Wohnungslüftungsanlagen sind jedoch nach meiner Auffassung besonders für den Komfort, die Luftqualität und die Energieeinsparung geeignet, wenn sie fachgerecht ausgelegt, installiert, gewartet und betrieben werden.
Aber die DIN 1946 Teil 6 führt nicht dazu, dass bewährtes Wohnverhalten auf einmal außer Kraft gesetzt wird. Die mechanische Wohnungslüftungsanlage in befensterten Räumen ist eine Komfortlösung, die nicht per se in jedem Fall Primärenergie einspart, und Feuchteschäden sind hiermit auch nur in ganz speziellen Fällen heilbar. Ich vergleiche diese Technologie mit einem Wintergarten: „Nice to have but not a must“.
Hans Erhorn, Abteilungsleiter Wärmetechnik, Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Stuttgart