Meinung: Variable Stromtarife verursachen Energie-Stress

Peter Reinhardt, Technikredaktion (Abb. © cci Dialog)

Variable Stromtarife sollen die Energiewende vorantreiben. Doch ohne Smart Meter bleibt ihr Nutzen reine Theorie. Verbraucher könnten zwar profitieren, stehen aber auch vor neuen Herausforderungen: steigende Preise, technische Hürden und „Energie-Stress“. Sind flexible Tarife wirklich der Schlüssel zur Energiewende oder droht die nächste Kostenfalle? 

Seit Anfang 2025 sind Stromversorger gesetzlich verpflichtet, variable Stromtarife anzubieten (siehe cci288890). Insbesondere für den Betrieb von Wärmepumpen wird dies von der Politik als wichtiger Schritt in Richtung Energiewende verkauft. Auf den ersten Blick klingt das Ganze auch logisch. Variable Stromtarife sollen das Verbraucherverhalten positiv beeinflussen. Haushalte mit Wärmepumpen könnten gezielt in Zeiten günstigen Stroms (weil viel Strom verfügbar) heizen und Warmwasser erzeugen, während sie bei hohen Preisen (weil wenig Strom verfügbar) den Energieverbrauch reduzieren. Das Netz wird entlastet, die Nutzung regenerativer Energien wird gefördert, der Bedarf an fossilen Backup-Kraftwerken sinkt – und Endkunden sparen bares Geld. So zumindest in der Theorie.

Doch viele Haushalte mit Wärmepumpen haben derzeit nicht die technische Infrastruktur, um variabel gesteuerte Tarife sinnvoll zu nutzen. Technische Grundvoraussetzung sind Smart Meter. Doch deren flächendeckender Rollout verläuft schleppend. Laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Berlin, vom Oktober 2024 ist mehr als 80 % der Haushalte hierzulande nicht einmal bekannt, dass sie einen Anspruch auf den Einbau eines Smart Meters haben. Doch ohne diese Messsysteme bleibt der theoretische Nutzen variabler Stromtarife in der Praxis irrelevant.

Hinzu kommt eine gewisse Unsicherheit der Verbraucher. Variable Strompreise bedeuten nicht nur, dass der Strom manchmal günstiger ist, sondern auch, dass er manchmal deutlich teurer sein wird. Und auch dann muss gegebenenfalls geheizt werden. Ich jedenfalls hätte kein gutes Gefühl dabei, den Betrieb meiner Wärmepumpe zu bestimmten Tageszeiten einschränken zu müssen, weil der Preis gerade stark steigt. Hier entsteht eine Art von „Energie-Stress“. Stromtarife, die im Tagesverlauf stark schwanken, können Verbraucher überfordern. Es braucht daher gesetzliche Vorgaben, dass Preisschwankungen nicht zur Kostenfalle werden.

Dennoch halte ich variable Stromtarife für einen Schritt in die richtige Richtung. Denn die viel propagierte Energiewende wird nicht gelingen, wenn wir weiterhin an alten Technologien festhalten. Jede politische Maßnahme, die den Einsatz von Wärmepumpen als Schlüssel zu einer klimafreundlichen, effizienten Heiztechnik fördert, ist grundsätzlich zu begrüßen.

Übrigens: Was für Wärmepumpen gilt, ist auch für den Betrieb von Klimaanlagen in Wohngebäuden sinnvoll. Für Luft/Luft-Wärmepumpen, die auch kühlen können, gelten die variablen Tarife bereits ebenfalls. Anders sieht das bei vielen Kühlprozessen in Industrie und Gewerbe aus, wo man ebenfalls über variable Stromtarife nachdenken könnten. Auf Nachfrage hat mir dazu der Verband Deutscher Kälte-Klima-Fachbetriebe (VDKF), Bonn, gesagt: „Kühlprozesse in Industrie und Gewerbe erlauben nur im begrenzten Umfang einen zeitlichen Aufschub, sodass das Warten auf günstigere Tarife für den Betreiber nur schwer möglich ist. Und eine zeitlich begrenzte Leistungsdrosselung durch den Stromanbieter wie bei privat genutzten Wärmepumpen ist oft inakzeptabel. Insofern sind variable Stromtarife für den Betrieb von Kälte- und Klimaanlagen nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Wo es möglich ist, haben Betreiber dies mit ihrem Energieversorger aber individuell vereinbart.“

Mein Fazit: Variable Stromtarife sind kein Allheilmittel, aber ein wichtiges Puzzleteil der Energiewende. Ein erster Schritt ist getan, aber wir sind noch lange nicht am Ziel.

Peter Reinhardt, peter.reinhardt@cci-dialog.de

PS: Kommentieren Sie diesen Beitrag gerne direkt oder per E-Mail. Bei per E-Mail eingesendeten Kommentaren setzen wir Ihr Einverständnis zur Veröffentlichung voraus. Vielen Dank! Übrigens: Mit dem Thema hohe Strompreise als Hinderungsgrund, um auf eine Wärmepumpenheizung umzusteigen, beschäftigt sich heute auch die Meldung „Energie-Trendmonitor: Strompreise als Hindernis für Heizungswechsel“ (Artikelnummer cci291005).

cci291001

2 Kommentare zu “Meinung: Variable Stromtarife verursachen Energie-Stress

  1. Guten Morgen,

    dazu ein Praxisbericht. Vor sechs Monaten wurde mein Smartmeter installiert. Seitdem gibt es „Probleme mit der Umstellung des Messstellenbetreibers, Probleme mit der Marktkommunikationssoftware…“, kurzum: der Nutzen meines Smartmeters ist gleich null.

    Gleichwohl betreibe ich (als PV-Anlage angemeldet) ein Balkonkraftwerk (600 W Direkteinspeisung) sowie eine 1,6 kWp-PV-Anlage mit 3 kWh Batteriespeicher DC-seitig und steuere das ganze mit einem Shelly Dreiphasen-Messgerät.

    Ich bin also sehr wohl in der Lage meinen aktuellen Hausverbrauch und die PV-Produktionen einzusehen, aber nicht via eichrechtkonformer Messtechnik.

    Die Theorie dahinter ist spitze, setzt aber eine gewisse technische Afinität und Begeisterung für solche (technischen) Zusammenhänge voraus. Wenn jetzt noch die wirtschaftlichen Zusammenhänge durch smarte Tarife dazukommen, denke ich nicht, dass das einer breiten Öffentlichkeit vermittelbar ist.
    Auch denke ich nicht, dass der Zwang zu solcher Smarten Technik vermittelbar ist und er würde mit Sicherheit zu grundsätzlicher Ablehnung in der Bevölkerung führen, da er die ohnehin hohen Baukosten weiter in die Höhe treibt.

    N.B. die Haushaltsverbräuche sind ein Witz gegenüber den 11 kW und mehr, die ein E-Fahrzeug beim Laden zieht. Elektroauto fahre ich seit drei Jahren. Netzdienliches Laden ist ganz sicher der erste Ansatz, wo smarte Tarife sinnvoll sind.

    Dafür muss aber erstmal die Umsetzung (s.o.) funktionieren. Im bürokratischen Deutschland anno 2025 habe ich da erhebliche Zweifel.

  2. Moin Herr Reinhardt,
    erstens, man kann alles erfassen, messen, analysieren was man so möchte. Man kann es aber auch ganz einfach haben : Wenn die Sonne scheint wird Strom günstig. Zweitens, der gemeine Deutsche Feld- Wald und Wiesenkonsument ist weniger dumm als wir denken. Meine Meinung: Bieten die EVUs vernünftige variable Stromtarife an, wird es nicht an Smart Metern scheitern. Man kann seine Wasch- und Spülmaschinen ab 10:00 Uhr starten und wer mag, kann seine Wärmepumpe nachts absenken. Jeder der eine PV-Anlage auf dem Dach hat, sieht seine Chancen. Leider sieht er aber auch die ausbleibenden Erträge in der Dunkelflaute.

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