Die thermische Behaglichkeit und der Zeitfaktor

In der DIN EN 16798 Teil 1 werden alle Parameter zur Projektierung eines Raumklimas behandelt.
Allerdings hat ein Leser von cci Branchenticker ein Versäumnis in der Norm entdeckt: Nach welcher Zeit muss sich zum Beispiel eine Raumtemperatur nach einer gewünschten Temperaturänderung eingestellt haben?

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Frage:

Wann soll oder muss sich in einem Raum nach der Änderung eines Parameters, zum Beispiel der Temperatur oder des Luftvolumenstroms, die thermische Behaglichkeit oder die Luftqualität wieder einstellen?

Die Ausgangslage:

In der DIN EN 16798 Teil 1 „Eingangsparameter für das Raumklima“ (April 2021) und im zugehörigen Nationalen Anhang (Entwurf Juni 2021) werden alle Parameter zur Projektierung eines Raumklimas inklusive Raumtemperatur, Feuchte, Raumluftqualität (Mindestaußenluftvolumenströme, CO2 in der Raumluft), Beleuchtung und Akustik behandelt. Dazu werden für eine gewünschte Qualität für die Raumklimaparameter die Kategorien IEQ1 (gut) bis IEQ4 (mäßig) vorgegeben.
Allerdings hat ein Leser von cci Branchenticker eine Schwachstelle beziehungsweise ein Versäumnis in der Norm entdeckt: Nach welcher Zeit muss sich zum Beispiel eine Raumtemperatur nach einer gewünschten Temperaturänderung eingestellt haben?

Dazu zwei Beispiele. Ich habe eine Raumtemperatur von 20 °C und stelle nun, weil es mir zu kühl ist, meine Sollraumtemperatur am Raumtemperaturregler auf 22 °C ein. Wie lange darf es dauern, bis sich die gewünschte Raumtemperaturerhöhung um 2 K auf 22 °C eingestellt hat? Ähnliches gilt auch für einen Besprechungsraum, der zu Beginn des Meetings eine Temperatur von 26 °C hat. Durch die Wärmeabgabe der Teilnehmer und deren CO2-Abgabe werden die Temperatur und die CO2-Konzentration im Raum rasch ansteigen. Wann muss die Solltemperatur von 26 °C und der CO2-Sollwert von zum Beispiel 1.000 ppm wieder erreicht sein? Ich denke, es ist ein Unterschied für die individuelle Behaglichkeit, ob sich die gewünschten Raumparameter nach 30 min oder vier Stunden eingestellt haben. Wo aber finde ich dazu weiterführende und konkrete Informationen?

Antwort 1 von Olaf Mayer:

Eine reine Aufheizzeit ist nicht wirklich geregelt. In der DIN EN 12381 „Verfahren zur Berechnung der Norm-Heizlast“ wird die Wiederaufheizzeit beschrieben. Nach einer Nachtabsenkung auf 15 °C auf eine Soll-Raumtemperatur von 20 °C werden dafür zwei Stunden zur Verfügung gestellt. An dieser Anlehnung wird auch eine Raumtemperaturerhöhung von 1 bis 2 K zeitlich definiert, das wären ca. 0,5 Stunden. Aus der Sicht eines Sachverständigen werden diese Parameter sehr eng angelegt, wobei der Behaglichkeits- und Wohlbefindlichkeitsfaktor eine große Rolle bei der Bemessung der Zeiteinheit für Raumtemperaturanpassungen spielt.

Olaf Mayer, Sachverständiger für das Installateur- und Heizungsbauer-Handwerk, Hemsbach (SV)

Antwort 2 von Martin Hämmerle:

Leider fehlt für die Behaglichkeit als Ganzes eine gesamtheitliche Betrachtungsweise. Stattdessen gibt es in verschiedenen Normen einzelne Bruchstücke, die aber viele Fragen offen lassen. Für die thermische Behaglichkeit gilt die DIN EN ISO 7730 „Ergonomie der thermischen Umgebung – Analytische Bestimmung und Interpretation der thermischen Behaglichkeit durch Berechnung des PMV- und des PPD- Indexes und Kriterien der lokalen thermischen Behaglichkeit“ (06/2007). Darin sind drei Kategorien für das thermische Umgebungsklima definiert, wobei alle Kriterien für jede Kategorie zugleich erfüllt sein sollen. Hier passen allerdings die DIN EN 16798 Teil 1 „Eingangsparameter für das Raumklima“ (04/2021) und die DIN EN ISO 7730 nicht zusammen, da die Auslegungstemperatur nach DIN EN 16798 und die optimale empfundene Temperatur nach DIN EN ISO 7730 um mindestens 2 °C differieren.

Unzufrieden mit Raumklima nach Fanger
Vorhergesagter Prozentsatz unzufriedener Personen nach Fanger für verschiedene operative Temperaturen. Für die gewählten Parameter liegt die optimale operative Temperatur bei 23,5 °C.


Zurück zur Frage der transienten Übergänge. Der Anhang H „Langzeitbewertung der allgemeinen thermischen Behaglichkeit“ der DIN EN ISO 7730 enthält Verfahren, wie Komfortbedingungen über einen längeren Zeitraum bewertet werden können, wenn zum Beispiel die operative Temperatur punktuell außerhalb des behaglichen Bereichs liegt. Es gibt aber in der Norm keinen Anhaltspunkt, wie lange eine Unter- oder Überschreitung der Komfortzone am Stück dauern darf.
Somit verbleiben zur Beurteilung der Situation noch Praxiserfahrungen. Prinzipiell machte ich bei Feldmessungen (Bürogebäude) die Erfahrung, dass zu kühle Temperaturen störender empfunden werden als zu warme. Einmalige oder seltene Ereignisse werden bis zu zwei Stunden „weggesteckt“. Mehren sich vor allem die zu kühlen Zeitabschnitte oder treten sie regelmäßig auf, steigt die Unzufriedenheit. Konkretes Beispiel: In einem Bürogebäude kam es wegen einer Fehlfunktion der HLK-Anlage von 7.45 bis 8.15 Uhr zu einer ungewollten Temperaturabsenkung von 23 °C auf 20 °C. Die Voten von „kühl“ bis „kalt“ hörten erst auf, als der Fehler entdeckt und behoben wurde.
Bei der Luftqualität reagieren viele Menschen noch sensibler. Hier sollte innerhalb von 15 Minuten eine deutliche Verbesserung der empfundenen Luftqualität erreicht werden (Erfahrungswert). Das Ziel der Norm ist, dass die vereinbarte Luftqualitätsklasse durch geeignete Lüftungsmaßnahmen (bedarfsgerechte Lüftung) innerhalb des zulässigen Grenzwertes gehalten wird. Dies gilt auch für die thermische Behaglichkeit.
Auf den Punkt gebracht heißt dies: meines Erachtens gehen die Normen davon, dass in der Regel während der jeweiligen Raumnutzung kein im Sinne der Behaglichkeit unzulässiger Betriebszustand auftritt.

Martin Hämmerle, Hochschule Luzern Technik & Architektur, Institut für Gebäudetechnik und Energie (IGE)

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