Meinung: Negative Energiewende 2021 – jetzt bitte politischer Klartext!

Dr. Manfred Stahl, manfred.stahl@cci-dialog.de (Abb. © cci Dialog GmbH)
Dr. Manfred Stahl, manfred.stahl@cci-dialog.de (Abb. © cci Dialog GmbH)

Gerade habe ich die brandneue Studie der Agora Energiewende zu Energieverbräuchen und Treibhausgasemissionen in Deutschland im Jahr 2021 gelesen. Diese ist ernüchternd: Wenn nicht mehrere ökologische Wunder geschehen, können wir die zunächst für 2030 gesetzten nationalen Ziele zum Klimaschutz wohl abhaken. Das gilt besonders für den Bereich Gebäude.

Der Agora-Bericht verdeutlichte unverblümt die in Deutschland mit viel zu geringem Tempo verlaufende Energiewende. Und noch eines zeigt der Bericht deutlich: Die erheblichen Rückgänge bei Energieverbräuchen und Emissionen im Jahr 2020 basierten fast ausschließlich auf der Corona-Pandemie mit den vielen Einschränkungen in Industrie, Wirtschaft, Mobilität und sozialem Leben – 2020 war ein Ausnahmejahr. Mit der behutsamen Rückkehr zur gesellschaftlichen Normalität erfolgte 2021, zumindest bis weit in den Herbst hinein, leider auch wieder eine Rückkehr zur Energie-Normalität. Dazu einige Zahlen: Von 2020 bis 2021 stiegen der Primärenergieverbrauch um 2,6 % auf knapp 3.400 Mrd. kWh und die Emissionen von Treibhausgasen um 33 Mio. t CO2-Äquivalent (+4,5 %) auf etwa 772 Mio. t. Hauptemittenten waren die Bereiche Energie (32 %), Industrie (23 %) und Verkehr (19 %), die allerdings aufgrund der überproportionalen Emissionseinsparungen im Ausnahmejahr 2020 noch knapp im Soll der Klimaschutzgesetz-Ziele für 2021 liegen. Demgegenüber ist die Lage im Bereich Gebäude kritisch: Die 2021 „erreichten“ 125 Mio. t CO2 (+4 % gegenüber 2020, Emissionsanteil 2021 = 16 %) lagen um 12 Mio. t über dem politisch vorgegebenen Zielwert.
Man kann nun lange über Gründe diskutieren, die zu den Anstiegen im Jahr 2021 geführt haben: Das Aufleben der Industrie und Wirtschaft, ein kälterer und längerer Winter (Heizung), mehr Mobilität (Verkehr), geringere Beiträge der regenerativen Energien zur Stromerzeugung wegen weniger Solarstrahlung und Wind (Kompensation in Kraftwerken durch fossile Energien) und so weiter. Wird sich das 2022 spürbar ändern, und in welche Richtung mit welcher Intensität? Dabei ist eine Entwicklung heute schon klar: Der Ausstieg aus der Kernkraft Anfang 2022 wird ökologische Folgen haben, denn deren Beitrag zur Stromerzeugung (2021 = 11 %) muss ja irgendwie kompensiert werden. Nur allergrößte Optimisten werden hier darauf verweisen, dass diese Lücke ausschließlich durch regenerative Energien geschlossen wird. Die Einsätze von Kohlen und Gas in Stromkraftwerken werden zwangsläufig steigen, und damit auch die Emissionen.
Alles Lamentieren und Verweisen auf böse Entwicklungen, die aber nicht nur für Experten durchaus vorhersehbar waren, hilft dem Klimaschutz aber nicht weiter. Damit will ich hier auf keinen Fall dazu aufrufen, unsere Bemühungen zum Klimaschutz einzustellen oder zurückzufahren. Im Gegenteil: Es müssen vielmehr weiterhin alle Erfolg versprechenden Maßnahmen zur Verringerung von Energieverbräuchen und Treibhausgasen umgesetzt und an vielen Stellen (Gebäude) sogar intensiviert werden, auch wenn das viel Geld kosten wird. Und hierzu habe ich eine dringende Bitte an die Politik: Machen Sie das bitte mit ökologisch-ökonomischem Fingerspitzengefühl und nicht nur nach dem Gießkannenprinzip und dem Motto „viel wird schon irgendwie auch viel helfen“. Es gibt genügend Studien renommierter Institute, die dazu gute und effiziente Anregungen und Lösungswege aufzeigen.
Zudem bin ich der Meinung, dass die politischen Entscheider endlich beginnen sollten, sich der eher traurigen Energiewende-Wahrheit zu stellen und diese zu akzeptieren. In einem solchen (unwahrscheinlichen?) Fall wäre es dann auch konsequent, die Klimaschutzziele für 2030 und für die Folgejahre an die Realität anzupassen und sie nachzujustieren. Ansonsten hecheln wir auch in den nächsten Jahren frustriert weiter den politischen Zielen hinterher, die auch mit zig Milliarden Euro für Förderprogramme und weitere Maßnahmen wohl kaum erreicht werden können. Und mal ehrlich: Wäre es wirklich so schlimm, wenn wir 2030 nicht beim Emissions-Zielwert 438 Mio. t CO2, sondern zum Beispiel bei 460 Mio. t CO2 landen würden? Das entspräche gegenüber den Emissionen von 1990 als politisch festgelegtem Vergleichsjahr (1.249 Mio. t CO2) immer noch einem Rückgang der Treibhausgase um mehr als 63 % (statt Ziel 65 %) und wäre damit immer noch eine enorme politische und gesellschaftliche Leistung.

Mit ökologischen Wünschen,
Ihr Dr. Manfred Stahl

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4 Kommentare zu “Meinung: Negative Energiewende 2021 – jetzt bitte politischer Klartext!

  1. Schön, dass auf Anregung von Dr. Manfred Stahl so eine Diskussion entsteht.
    Der Schlusssatz von Ralf Kätzel hat es wahrlich „in sich“:
    >>Und was mich am Rande interessiert, wie ist der Stand des öffentlichen Sektors, einschließlich seiner mehrheitlichen Beteiligungen, wie der Bahn, den Flughäfen, Krankenhäusern, Wohnungsbaugesellschaften …
    Hat der Staat bereits vor seiner eigenen Tür gekehrt?<<
    Nachdem das grün regierte BW bei allen Gebäuden bereits in 18 Jahren "Klimaneutral" sein will,
    kam bei mir diese Frage auch auf. Und das bei der Fachpersonalknappheit – besonders bei der öffentlichen Hand (ketzerisch würde ich meinen, weil man die "MINT-Abwähler" bevorzugt…)
    Aber global gesehen (und das Klima gilt ja global) macht mir eines Sorgen: Der Anstieg des CO2
    (2 tiefgestellt) -Gehalts der Luft (Treibhausgas), ist gleichlaufend mit der Anzahl der Menschen auf der Erde – entweder sorgt CO2 für die von der Bibel geforderte Fruchtbarkeit ("seid fruchtbar und mehret euch") oder es ist umgekehrt… ?
    Siehe die Schaubilder:
    https://1drv.ms/u/s!Anc2-A2zaQplmP0zfT2avBjIvdy2bA?e=fZehp2
    Wer es nicht runterladen kann aber möchte, melde sich bei mir.
    Bei all den politischen Maßnahmen zur Rettung des Erdklimas vermisse ich weiterhin das, was "Intelligenz" erfordert: die ernsthafte Anwendung der Automationstechnik, hier die Raum- und Anlagenautomation mit Gebäude- und Energiemanagement (alles zusammen = Gebäudeautomation)

  2. Ich gebe beiden Kommentarschreibern Ralf Kätzel und Volker Margenfeld recht, die Zeit den Kopf in den Sand zu stecken ist vorbei. Und ich weiß, ihr hört Ratschläge aus anderen Ländern nicht gerne, schon gar nicht von den Össis.
    Ja, Deutschland hat den glücklichen Zufall, dass durch eine Bundestagswahl zum richtigen Zeitpunkt, die jetzige !Ampelregierung“ bei vielen richtigen und notwendigen Maßnahmen auf GRÜN schalten konnte. Nur das mit der Kohle müsst ihr noch verbessern und ich weiß es ist schwer, da das einfacher und billiger wäre.
    Auch bei uns in Österreich könnte es mit dem Wandel von Maßnahmen gegen die Zerstörung unseres Lebensraum viel schlimmer stehen. Ein Wahnsinn, dass noch immer viele – auch Parteien glauben – wir können die groben Maßnahmen noch ein wenig aufschieben.
    Irgendwie bin ich mir auch sicher, wenn ihr in D nicht diese Unwetter, d.h. schrecklichen Warnzeichen gehabt hättet, würdet ihr im Umdenken noch nicht so weit sein. Bremser sind leider immer wieder die Lobbyisten, Zauderer und Politiker, die gerne nach Wählerwillen entscheiden wollen. Das geht bei der Klimakrise aber schlecht, es ist zusätzlich die Aufgabe der Politik, den Wählern klar zu machen, was ohne Maßnahmen bald geschehen wird.
    Zum Schluss: Ich habe echte Angst, dass wir mit Konzepten und Maßnahmen zu langsam sein werden, ich mach mir sorgen, was uns unsere Enkeln in 50 Jahren alles nachsagen und vorwerfen werden – z.B. „die haben das verbockt! – hoffentlich nicht“.
    Macht weiter so: Innovativ in die Zkunft!

  3. Richtig, Ziele sollten realistisch sein.
    Mich haben die Ergebnisse der Agora-Studie ebenfalls frustriert.
    Überall liest man:
    • Die deutsche Energiewende wird die Blaupause für alle anderen Länder dieser Erde werden.
    • Wir (Deutschland) werden als Vorreiter voran gehen.
    Selbst große Unternehmen haben den Klimaschutz entdeckt und sich hohe Ziele gesteckt.
    Es wurden seit Jahren viele Steuergelder für die Energiewende bereitgestellt.
    Das Ergebnis der deutschen Energiewende ist unbefriedigend.
    Wie ist der Wirkungsgrad (erreichtes Ziel im Verhältnis zum eingesetzten Aufwand (Kapital))
    Und ohne groß in der Materie zu stecken, glaube ich abschätzen zu können, dass der eingeschlagene Weg nicht zum Ziel führt. Der Anstieg der Gerade vom Ist zum Soll ist zu steil.
    Vielleicht sollte man den Weg überdenken und hinterfragen:
    • Wie sieht das Land aus, wenn man nur mit Windkraft und Solar die Lücke von Atom, Kohle und Gas schließen möchte? (mit den aktuellen Technologien)
    • Welche Auswirkungen sind schlimmer: CO2-Anstieg oder Atommüll oder der Raubbau an der Natur für Kohleabbau, Fracking, Batterien, Solar und Wind?
    • Stimmen die Zukunftsszenarien noch, die entwickelt wurden?
    • Müssen wir vielleicht unseren Lebensstil und unsere Gesellschaft ändern, vielleicht unsere Freiheit und unseren Wohlstand aufgeben?
    • Welche gesellschaftlichen Verwerfungen erwarten uns auf diesem Weg? Immerhin ist der Klimaschutz gesetzlich verbrieft und enthält „Daumenschrauben“.
    Die Sache scheint mir komplexer als angenommen und sie ist mit Annahmen, die auf Linearitäten beruhen, wohl nicht zu lösen.
    Entweder die Ziele ändern sich oder der Weg!
    Und was mich am Rande interessiert, wie ist der Stand des öffentlichen Sektors, einschließlich seiner mehrheitlichen Beteiligungen, wie der Bahn, den Flughäfen, Krankenhäusern, Wohnungsbaugesellschaften …
    Hat der Staat bereits vor seiner eigenen Tür gekehrt?
    Don’t look up ?

  4. Nein, traurigen Energiewende-Wahrheiten sollte man sich nicht einfach stellen. Die (politischen) Zeiten der Aufschieberitis nach dem Motto „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe ruhig auf morgen“ sind hoffentlich vorbei. Die selbst eingebrockte Suppe löffeln ansonsten unsere Kinder und Enkelkinder aus. Aus Gründen der Verantwortung sollte die Latte zur Motivation mindestens so hoch gelegt bleiben. Wenn man(n) und frau moralisch darüber nachdenkt, geht es um mehr, als nur Zielmarken auf 3 Nachkommastellen zu erreichen. Auch wenn man am Ende knapp vorbeischrammt, wäre das sicherlich besser als den Kopf frustriert in den Sand zu stecken. Nach dem Motto: Ich schaff’s ja doch nicht.

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