Gendern – öh, was ist das denn?
(Abb. cci Dialog GmbH) Das Wort „Gendern“ (Gendering) steht (unter anderem) für einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch, der im Interesse der Gleichstellung der Geschlechter mit Modifikationen der herkömmlichen Sprache einhergeht. Was so geschwollen harmlos klingt, ist die sprachliche Hölle mit
– Doppelformen (die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen),
– Klammern (die Mitarbeiter(innen)),
– Binnen-Is (die MitarbeiterInnen),
– Sternchen (ein*e Mitarbeit*er*in),
– Schrägstrichen (ein/-e Mitarbeiter/-in),
– Unterstrichen (ein_e Mitarbeit_er_in),
– Binnen-Majuskel (einE Mitarbeiter und Mitarbeiterin),
– Ausrufezeichen (jedeR Mitarbeiter!in) und noch einige mehr.
Gedanken über die richtige Schreibung machen sich die Schweizerische Bundeskanzlei genauso wie das Ministerium für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein und viele, viele Selbstberufene, die sich endlich mal ausleben und verwirklichen wollen.
Da alle diese Formen aber die Unterschiede zwischen den Geschlechtern betonen, gibt es einen weiteren Schreibtrend, die „Neutralisierung“ (-end-Form). Das hinter der „Entsexualisierung“ stehende Anliegen ist es, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu überwinden „zu Gunsten des Übergeschlechtlichen, allgemein Menschlichen“. Das führt zu Begriffen wie Lehrkraft, Studierende, Auszubildende (wobei es im Singular dann doch wieder „ein Auszubildender“ ist (ha!).
Das Gendern oder Nicht-Gendern kann einen inzwischen ganz schön in die Bredouille bringen. Folgendes Beispiel handle ich – der drin steckenden Informationen wegen – mal etwas ausführlicher ab:
In den Richtlinien des Seminars „Einführung in das Verkehrswesen“ an der TU Berlin heißt es, eine „gendersensible Sprache“ werde „in einer wissenschaftlichen Arbeit erwartet“. Begründet wurde die Forderung mit dem Verweis „BMFSFJ 2012“, was wohl als Hinweis auf den 2. Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verstanden werden soll. Der Verkehrswesenstudent Z* verlangte daraufhin auf den Rat des Portals ScienceFiles von der Lehrkraft Erläuterungen. Diese antwortete, das Gendern sei „eine Vorgabe seitens der TU Berlin“, deren Nichtberücksichtigung einen Punktabzug zur Folge habe. Außerdem habe es sich „inzwischen als gesellschaftlicher Konsens auch in wissenschaftlichen Ausarbeitungen niedergeschlagen“. Und wenn er sich entschließe, eine Prüfung oder Seminararbeit stattdessen nur auf Wissenschaftlichkeit und Lesbarkeit hin auszurichten und dafür eine schlechtere Note bekomme, dann werde ihm „alles diskutieren“ nichts helfen.
Darauf hin wandte sich der Student an die Rechtsabteilung der TU-Berlin. Diese teilte mit, dass es die von der Lehrkraft behauptete TU-Vorgabe zur Verwendung einer „gendergerechten Sprache“ gar nicht gibt. „Grundlagen für die Bewertung bzw. Benotung einer wissenschaftilchen Arbeit“ sind der Rechtsabteilung zufolge üblicherweise (immer noch) Inhalte und Aussagen.
Fazit: Der Student hat durchgesetzt, dass er seine Prüfungs- und Seminararbeiten nicht mit Binnen-Is, Sternchen oder Unterstrichen in Personenbezeichnungen versehen muss. Aber Lehrkräfte (mit Missionsbedarf), die bei Nichtgendern mit Punktabzug drohen, gibt es auch an anderen TUs und Unis und FHs.
Die Redaktion von cci Zeitung und cci Branchenticker ist gegen das Gendern. In den vielen Meldungen und Beiträgen, die wir in den letzten Jahren veröffentlicht haben, werden Sie noch nicht einmal so „harmlose“ Formulierungen wie „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ finden. Das hat mehrere Gründe, und die leichtere Lesbarkeit der Texte ist nur einer davon. Wir weisen aber immer wieder auch auf die Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben hin (etwa auf den „Gender Pay Gap“ – Frauen erhalten für die gleiche Arbeit meist weniger Bezahlung als Männer), aber eine Gleichstellung wird nach Ansicht der Redaktion weder dadurch erreicht, dass man das Geschlecht eines Mitarbeiters betont, noch dass man es in neutralen „-end“-Formen „versteckt“. Im Übrigen widerspricht das Gendern einem fundamentalen Prinzip der menschlichen Sprache, der Sprachökonomie, also die (sinnvolle) Neigung von Sprecher und Hörer, so zu kommunizieren, dass für beide ein möglichst geringer Aufwand entsteht.
Trotzdem hat diese Anti-Gender-Haltung auch Grenzen. Beispielsweise bei folgender Werbung für ein Seminarangebot, die uns unnötigerweise ins Haus trudelte. Darin hieß es unter anderem: „Wir vergrößern das Potenzial Ihrer Sekretärin … Die Sekretärin als rechte Hand des Vorgesetzten … die Hauptaufgabe Ihrer Sekretärin ist es, Sie als Chef zu unterstützen … Belohnung und Anerkennung muss nicht immer finanzieller Art sein: Motivieren Sie Ihre Sekretärin mit einem Weiterbildungstag, der nur ihr gehört.“
Wie blöd ist das denn? Noch nie was von weiblichen Vorgesetzten oder männlichen Assistenten gehört?
Apropos
„Die Emanzipation ist erst dann vollendet, wenn auch einmal eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufgerückt ist.“ (Heidi Kabel)
In diesem Sinne bis nächsten Donnerstag.
Artikelnummer: cci35049
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Ihr Kommentar zum Seminar für Sekretärinnen geht aber auch anders herum.
Während des Streiks der ErzieherInnen wurde immer wieder von den Erzieherinnen gesprochen, und die männlichen Erzieher, mindestens genauso viele wie männliche Assistenten, wurden unter den Tisch gekehrt, als ob sie gar nicht existierten.
In diesem Sinne eine genderfreie Zukunft