Was meinen Sie? Brauchen wir neue Vorgaben zur Planung von Lüftungsanlagen?

In seinem Blog fordert Prof.Olli Seppänen ein Umdenken in der Lüftungs- und Klimatechnik. (Abb. © REHVA)

Lüftungsanlagen mit gut dimensionierten Außenluftvolumenströmen können erheblich zur Verringerung eines Corona-Infektionsrisikos in Räumen beitragen. Doch reichen dazu die in aktuellen technischen Regeln vorgegebenen Luftvolumenströme weiterhin aus? In einem Blog stellt Prof. Olli Seppänen von der Universität Aalto/Finnland, einer der weltweit führenden Experten für Lüftungs- und Klimatechnik, der LüKK neue Aufgaben.

Bisher werden Lüftungs- und Klimaanlagen auf Basis von technischen Regeln vorrangig für eine angestrebte Zuluft- beziehungsweise Raumluftqualität projektiert. Dabei orientieren sich die Außenluftvolumenströme an einer maximalen CO2-Konzentration in der Raumluft, zum Beispiel 50 m³/h Außenluft pro Person für weniger als 1.000 ppm CO2. Hinzu kommen Aspekte der thermischen Behaglichkeit und der Gesundheit mit Festlegungen für Tempera-turen und Feuchten. Doch seit rund einem Jahr hat die Corona-Pandemie auch in der Lüftungstechnik vieles verändert. Die LüKK ist neben den AHA-Regeln zu einem wichtigen potenziellen Instrument zur Bekämpfung der Pandemie geworden. Doch um diese Aufgabe erfüllen zu können, müssen viele bisherige Erkenntnisse geprüft, Fragen beantwortet und Herausforderungen überwunden werden: Sind die bisherigen Regeln zur Auslegung von Lüftungsanlagen überholt? Muss sich die Lüftungstechnik neu positionieren und sich dazu bei der Planung von Anlagen und von Außenluftvolumenströmen weniger an CO2, sondern verstärkt zum Beispiel an gesundheitlichen Aspekten (Corona etc.) orientieren? Reicht es aus, nur die Außenluftraten zu erhöhen und gegebenenfalls ergänzende Sekundärluftreinigungsgeräte zu betreiben, oder brauchen wir für einen besseren, nachhaltigen Gesundheitsschutz völlig neue Systeme?
Diese und ähnliche Fragen diskutiert und stellt Prof. Olli Seppänen in seinem Blog „We need new criteria for ventilation design“ auf der Website des europäischen LüKK-Verbands Rehva. Seine Vorschläge dazu sind zum Beispiel eine personifizierte Lüftung/Klimatisierung und auch eine bessere Erfassung der Luftqualität im unmittelbaren Umfeld von Personen. Sein Resümee:
„It is time to change ventilation design from perceived air quality-based design to health-based ventilation design. Exhaled air must be effectively removed from inside and clean, pathogen-free air must be supplied for breathing. Ventilation and air distribution must be controlled according to occupants and their activities, not to the room space itself.“
Der Link zum Original-Blog von Prof. Seppänen ist hier.

Was halten Sie von diesen Vorschlägen? Müssen angesichts von Corona rasch neue technische Regeln zur Projektierung von Lüftungsanlagen erstellt werden? Müssen wir unsere bisherigen Lüftungsstrategien (Mischlüftung, Quelllüftung) zugunsten anderer Lösungen prüfen, ändern oder aufgeben? Ihre Meinung zu diesen Fragen interessiert uns sehr. Stellen Sie diese bitte als Kommentar unter diesen Beitrag oder schicken Sie sie uns als Email an redaktion@cci-dialog.de. Vielen Dank!

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5 Kommentare zu “Was meinen Sie? Brauchen wir neue Vorgaben zur Planung von Lüftungsanlagen?

  1. In der Medizin steht der Grundsatz «in erster Linie nicht schaden» «primum nihil nocere» ganz zuoberst. In der Lüftungsindustrie fehlt das Verständnis dafür, dass Lüftung auch Schäden anrichten kann. Dies wird erst erkennbar, wenn wir uns bewusst werden, dass die Konditionierung und Filterung der Raumluft durch die HAVAC nur einen ersten Schritt darstellt zum Endprodukt einer verträglichen Luft für den Gasaustausch in der Lunge. Ohne die zusätzliche Konditionierung und Filterung insbesondere durch Nase, Mund und Rachen wäre Raumluft innert kurzer Zeit tödlich – zu kalt und zu trocken! Nur die Nach-Konditionierung und Nach-Filterung sowie das Infekt-Abwehrsystem durch die obersten Abschnitte der Atemwege, macht Raumluft erst gesundheitsverträglich. HAVAC und unser ganz persönlicher Air-Conditioner, unsere «Nase», müssen als komplementäre Systeme verstanden werden. HAVAC ist gesundheitsverträglich, wenn das von ihr geregelte Raumklima die Funktionen der Nase nicht verunmöglicht.
    Solange dieses Raumklima im Winter einem Wüstenklima entspricht, wird es die Konditionierungskapazität und die Infektabwehr aller nicht perfekt funktionierenden Nasen überfordern [1]. Nasen, von älteren Menschen, Säuglingen, Allergikern, Bronchitikern und Raucher sind überfordert, trocknen aus und verlieren ihre Fähigkeit sich gegen Infektionen und Luftverschmutzung zur Wehr zu setzen. Auf ihre Kapazitätsgrenzen Rücksicht zu nehmen, würde das Ziel gesundheitsverträglicher Lüftungen erfüllten. Ja, wir brauche dringend neue Vorgaben!
    [1] Maddux SD et al, Absolute humidity and the human nose: A reanalysis of climate zones and their influence on nasal form and function. Am J Phys Anthropol. 2016 Oct;161(2):309–20. doi: 10.1002/ajpa.23032. Epub 2016 Jul 4, https://doi.org/10.1002/ajpa.23032

  2. Professor Seppänen hat Recht, wenn er schreibt, dass die Lüftung vor dem Hintergrund der Pandemie nun mehr im Hinblick auf die gesundheitsbasierte Auslegung betrachtet werden muss. Da gibt es bei den derzeit in der Praxis betriebenen (oder gar ganz fehlenden) Anlagen sicher riesengroße Mängel. Das gilt aber nicht für Anlagen, die nun nach dem ganz vorzüglichen FGK Status Report 52 ausgelegt werden. Über die im Statusreport vorgeschlagenen Maßnahmen hinaus habe ich im Text von Herrn Seppänen nur zwei Ergänzungen gefunden:
    Die eine ist die temporäre Verstärkung der Lüftung bei starker Nutzung der menschlichen Stimme. Das klingt aufwändig, ist aber irgendwie noch machbar mittels Mikrophonen (Vorsicht: Datenschutz) und etwas KI zur Unterscheidung von „virenlosem“ Maschinenlärm.
    Der zweite Vorschlag ist härter: “ Exhaled air must be effectively removed from inside and clean, pathogen-free air must be supplied for breathing.“ Wer das sauber durchsetzen will, besser als bei der Schichtenströmung, mit einer Trennung, die der zuvor im Text genannten Trennung von Trinkwasser und Abwasser nahekommt, hat nur eine Chance: Die Menschen an zwei Schläuche anschließen: Einen Frischluftschlauch und einen Abluftschlauch. Andere Chancen zur vermischungsfreien Luftführung sind noch nicht erfunden worden. Kann sein, dass wir das irgendwann tatsächlich mal brauchen. Vielleicht geht das dann auch als mobile Lösung (wie bei den Astronauten auf dem Mond).
    Schöne neue Welt…
    Peter Rietschel, BGN

  3. Es ist grundsätzlich nicht notwendig, völlig neue oder auch zusätzlich Regularien zu erarbeiten. Die Normen der Lüftungstechnik stellen schon heute einen ausreichenden Rahmen für einen angemessen Umgang auch in der Pandemie zur Verfügung.
    An der einen oder anderen Stelle sind ergänzende Interpretation notwendig, die aber oft schon in den Normengrundlagen selbst bereitgestellt werden.
    Mit dem FGK Status Report 52 „Anforderungen an Lüftung und Luftreinigung zur Reduktion des Infektionsrisikos über den Luftweg AHA + Lüftung“ wurde aufgezeigt, dass es mit wenigen Klarstellungen und Ergänzungen möglich ist, einen vereinfachten Nachweis für eine ausreichende Lüftung AHA + Lüftung (~800 ppm CO2) auf Basis der EN 16798-1 KAT I zu führen. Der vorgeschlagene Zuschlag für die Aktivität orientiert sich ebenfalls an den bekannten Zusammenhängen zwischen CO2 Emission der Personen und der Aktivität. Er wurde nur auf die „stimmliche Aktivität“ erweitert.
    Aus lüftungstechnischer Sicht (Lüftung mit Außenluft) ist vieles klar. Ein paar Aspekte sind jedoch bei raumseitigen Luftreinigungsgeräten zu ergänzen.
    Notwendige Filterklassen für eine Sekundärluftfilterung sind spezifiziert und zielführend. Eine klare Vorgabe für die Messung der Leistung im Raum (Aerosolabscheidung) sollte noch spezifiziert werden.
    Auch werden die Randbedingungen für mobile oder raumseitige UV-C Geräte, vorwiegend unter sicherheitstechnischen Aspekten diskutiert.
    Die Lüftungstechnik stellt Technologien und Nachweise zur Verfügung, die auch eine Grundlage für weitere „Öffnungsoptionen in der Pandemie“ sein können.

    Claus Händel
    Technischer Referent Fachverband Gebäude-Klima e. V.

  4. Der Zusammenhang von CO2 Konzentration und frischer (gesunder) Luft ist uns wohl allen klar.
    Werte von 400 ppm werden wir wohl in Räumen nicht erreichen, aber 800 bis 1000 wären doch schon gut. Sensoren können diese Werte messen, erst dann können wir etwas regeln und auch nachweisen.
    Noch besser wäre es, wenn wir dies auch in den Räumen sehen könnten, die wir nutzen, also ich würde mich dann wohler fühlen.
    Wenn ich unterwegs bin und feststelle an wie vielen Orten es einfach „schlechte“ Luft gibt…..

    Also bitte ja: gesunde Luft für alle und Sensoren mit Anzeige auf den Tisch, an die Wand.
    Denken SIe bitte mal alleine an die Millionen Schulkinder: in vollem Ernst hat ein Lehrer unseren Kindern gesagt, dass sie doch eine Decke mitbringen könnten. Die sitzen eh schon mit Jacke im Unterricht – ja gehts denn noch? Lüften nach Gutsherrenart??

    Luft ist ein Lebensmittel, wenn wir uns da einig sind, dann darf es auch bitte gute, also gesunde Luft für alle sein.
    Und wenn das ein Gesetz braucht, dann o.k.: bitte ohne Hektik, ohne Flickschusterei, davon erleben wir gerade genug.
    Bernd Wittenberg

  5. Ich bin der Meinung wir brauchen nicht noch mehr Richtlinien etc. Jedoch sollten wir alle mal überlegen ob wir auch die entsprechenden Richtlinien etc. in der Praxis auch wirklich umsetzen. Dieses dann gepaart mit einem gesunden Menschenverstand ist nach meiner Meinung ausreichend.

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