cci Forum: Forschung zu Mikroben und Raumluftfeuchte

Es war bisher nicht möglich, den Mechanismus der Inaktivierung und Konservierung von Mikroben in infektiösen Aerosolen im Mikrometerbereich nachzuweisen. Das Forschungsprojekt “Infectivity of influenza viruses in expiratory aerosols under ambient temperatures and humidities“ vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) könnte dies ändern. Drei Hochschulen (ETH, EPFL und Uni Zürich) wollen den Mechanismus aufdecken, durch den ausgeatmete Grippeviren in mittlerer Raumluftfeuchte inaktiviert und in tiefer Raumluftfeuchte konserviert und aktiv bleiben. Es fehlte bisher der Nachweis des Wirkmechanismus. Im Forschungsprojekt soll der Grenzwert/Grenzbereich der relativen Luftfeuchtigkeit/Temperatur ermittelt werden, der Inaktivierung und Konservierung von Grippeviren voneinander trennt. Die Einhaltung einer Mindestfeuchte könnte ein Präventionsinstrument werden, um Mikroben an der Verbreitung zu hindern. Zudem verbessert eine gesunde mittlere Luftfeuchtigkeit die körpereigene Infektionsabwehr durch gut befeuchtete Schleimhäute von Nase und Bronchien.

1.
Über diese Initiative freue ich mich. Damit erhalten wir einen fundierten unteren Grenzwert für die Feuchte. Einen oberen Grenzwert zur Vermeidung von Schimmelpilz erscheint demnächst in der DIN SPEC 4108-8 „Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden – Vermeidung von Schimmelwachstum in Wohngebäuden“ und wird dort „kritischer Feuchtegehalt“ genannt. Dadurch ergibt sich ein Bereich, in dem geregelt und ausgelegt werden sollte. Ich hoffe, dass im Forschungsprojekt auch zulässige, kurzzeitige Unterschreitungen des unteren Grenzwertes behandelt werden. Solche Fragen treten immer bei instationären Berechnungen auf und werden für die Beurteilung der thermischen Behaglichkeit und Raumluftqualität benötigt.

Dipl.-Ing. Norbert Nadler, Ing.-Büro CSE Nadler, Oranienburg

2.
Trockene Luft macht krank – das altbekannte und teuerste Lükk-Problem
Spätestens seit Errichtung der ersten zwangsbelüfteten Wolkenkratzer in den USA beobachten wir das Problem. Seit den 1930er Jahren also. Bis heute konnte dies erfolgreich aus dem Fokus gehalten werden – denn es ist auf Betreiberseite teuer, teuer, teuer. Auf Nutzerseite noch teurer durch einen hohen Krankenstand – aber das ist eine andere Kostenstelle, die einerseits dem Sozialsystem auferlegt ist und andererseits auf den Produktpreis aufgeschlagen durch den Endverbraucher getragen wird.
Warum also jetzt etwas ändern? Der Forschende begibt sich auf dünnes Eis. Haben wir doch auf der Ausführungsseite so viele Dampfluftbefeuchter stillgelegt wie nur möglich. Der Leidensdruck der Betreiber ob Instandhaltungs- und Energiekosten ist hoch. „Feuchterückgewinnung“ aus der Abluft ist Stand der Technik bei WRG-Rädern. Aber wo nicht viel ist, kann nicht viel gewonnen werden im Winter. Persönlich ist mir die Übetragung der Feuchtigkeit des ausgehusteten Schleims von der Fort- auf die Außenluft zuwider. Jede Diskussion darüber jedoch zurzeit müßig. Der Forschende beschäftigt sich auch nur mit dem Raum selbst. Jede Reise muss mit dem ersten Schritt beginnen. Gut so.

Ob dies reichen wird, gegen die Interessenlage von Investoren und Betreibern Regularien verbindlich zu platzieren, ist eher unwahrscheinlich. Hat doch schon die multiple Gewinnschöpfungsfunktion der VDI 6022 einen Begeisterungssturm auf der Gegenseite verursacht und so tief in die Tasche der Investoren gegriffen, dass Vertreter der öffenlichen Hand auf den Messen händeringend nach bezahlbaren Lösungen für Schulen und Kindergärten suchen (Persönliche Messestand-Erfahrung auf der Bau München).
Der Schad-Bauraum der RLT-Anlagen wuchs um 30 %, die Anlagenkosten auch – und direkt proportional ebenfalls die Planungskosten. Auch hielt es jahrelang ausländische Wettbewerber der Gerätehersteller in Schach. Bis Franzosen, Italiener und Tschechen bemerkt hatten, was in Deutschland passierte, war das Feld abgegrast. Auch in der RLT-Geräte-feindlichen Rooftop-Welt wirkte die VDI 6022 wie ein Betablocker. Und das, obwohl diese Technik den Investoren bis zu 60 % der Planungs- und Errichtungskosten gespart hätte. Wir sind halt Weltmeister im Auswendiglernen von Regularien. Dass Ingenieure die Freiheit haben, von jeder Norm abzuweichen, wenn die Ziele der Norm durch die angewandte Technik erreicht werden, ist uns abhanden gekommen.

Nichtsdestotrotz machen wir uns Gedanken, wie wir energetisch, praktisch und kostenoptimiert befeuchten können. Fallabhängig sind zentrale oder dezentrale Lösungen erforderlich. Allerdings steigt in jedem Fall der Energiebedarf.

Lösung 1:
– Die Luftbefeuchtung verursacht einen ernergetischen Mehraufwand, der mit den Zielen des Kyoto-Protokolls unvereinbar ist und untersagt wird. (Scherz)

Lösung 2:
Dezentral, an jede Teeküche oder Toilette/Waschbecken wird ein Netz aus Raumluftbefeuchtern angeschlossen.
– Dampfluftbefeuchter überlasten das Lichtnetz, brauchen Abschlämmleitungen, liefern aber sterilen Dampf.
– Ultraschallbefeuchter sind teuer, weniger energieintensiv. Ob sie die Raumtemperatur senken, gilt es herauszufinden, Abschlämmleitungen …
– Hoch- und Niederdruck-Systeme benötigen eine Wasseraufbereitung und kühlen den Raum, brauchen aber nur zentral eine Abschlämmung, teuer.
– Kontaktbefeuchter, minimaler Energieaufwand, maximale Kühlwirkung, Abschlämmleitungen, kostengünstig, wartungsarm
– Planzenkübel, keine Abschlämmung, geringe Befeuchtunsleistung, hoher Platzbedarf, was im Inneren schlecht gepflegter Kübel passiert, wissen wir, pflegeintensiv
– Pflanzenwände, keine Abschlämmleitung, keine Pumpe, Lufüberströmung planbar
– Wasserfallwände, Abschlämmleitung, Pumpe, als Zuluftauslass und als Umluftsystem optional planbar, kombinierbar mit Bioreaktor-Fassade aus cci Zeitung 09/2019, Seite 4?
– Wasserüberströmte Planzenwände, Abschlämmleitung, Pumpe, als Zuluftauslass und als Umluftsystem optional planbar, kombinierbar mit Bioreaktor-Fassade aus cci Zeitung 09/2019, Seite 4? Plegeintensiv, die Pflanzen könnte man ernten und essen.
– Lehmputz, Lehmbausteine statt Trockenbauwände, sind ein Puffer einer sonstigen Befeuchtung. Diese mit einem Wasserzubringer zu befeuchten, hat wohl noch niemand ausprobiert?

Lösung 3:
Zentral
hinlänglich bekannt, außer
– Kontaktbefeuchtung in der Zuluft
– WRG-Übertrager aus Wasserdampf-permeablen Membranen

Lösung 4:
LüKK-Gardening (kein Scherz)
Wickelfalzrohre werden von oben bepflanzt. Der Wurzelzopf wächst frei hängend ohne Erde im Rohr. Fast 100 % feuchte Luft strömt durch das Rohr. Der obere Planzenteil ist essbar und nachwachsend. Der Wurzelzopf dieser speziellen Pflanze bildet Flimmerhärchen aus, die eine Filtrationswirkung wie ein OP-Raum-Zuluftfilter haben. Gelegentlich muss ein Schneidroboter durchs Rohr um den Freiquerschnitt zu erhalten. Beleuchtung mit LED von oben. Kondensat läuft gegen die Luftrichtung im Rohr mit Gefälle zurück.

Referenzprojekt: King Abdulaziz City for Science and Technology in Rhiad/Saudi-Arabien
Das Londoner Architekturbüro Battle McCarthy hatte die Basisidee aus der Zusammenarbeit mit Arup in Kanada und der Planzenforschung in Saudi-Arabien. Die Entwurfsplanung stand. Bevor nun der Schalplan des Kellers rausging, sollte jemand mit Praxiserfahrung über den Entwurf schauen. Wie die Luft für die 25 m breite und 30 m lange Wickelfalzrohr-Batterie gerätetechnisch im Detail befeuchtet und anschließend wieder auf Sollwert entfeuchtet werden sollte, war völlig offen, Platz und Geld waren vorhanden – das sollte genügen.
Tag 1: Es war zur Zeit der „Riot Days“ 2011 in London, als ich ankam, um diese Mission zu erfüllen. Ein Stadtteil wurde geplündert, ein Möbelhaus stand in Flammen. Zum Entsetzen vieler Kollegen war mir das völlig egal, zu herausfordernd war die Mission. Ohne Schlips und Kragen wäre ich auch eher als Plünderer durchgegangen, aber den Dresscode in London zu missachten – ein No-Go. Im Architekturbüro begegnete mir selbst ein Rastaman mit hüftlangen Dreadlocks im feinsten Kammgarn. Da staunte der deutsche Michel in mir. Vorinformationen hatte ich fast keine, aber der Schalplan musste binnen Tagen raus.
Schnell stand das Basis-Engineering, eine Kontaktbefeuchter-Wand, dahinter eine Fan Wall, die Batterie, eine Wand mit WRG-Rädern, die mittels der Außenluft aus der Wüste die Zuluft nach der Batterie konditionierten. En Detail spannte ich die Klingenburg GmbH ein, die mir die Auslegungssoftware zuspielte. Die Pads steuerte Gigolla bei, hygienekonforme Wasserumlauf, Abschlämm- und Trocknungstechnik beherschten wir selbst bei Colt aus dem Coolstream-System. Die Fan Wall, damals natürlich von ebm, der Wettbewerb hatte noch Mühe aufzuholen.
Hinter dem Ganzen ein RLT-System von Trox aus tausenden von Bodenkonvektoren und dem Lüftungssystem – damit hatte ich nichts zu tun. War auch zu groß, um mitzubieten außerhalb Europas.
Ende Tag 1, der Gerätepark steht fest, die Luftstrom-Behandlung passt.
Tag 2: Lagebesprechung, Plausibilitätsprüfung, Festlegung. Morgen kann der Schalplan raus, entscheiden wir. Bis Mittag steht die Keller-Kammer-Planung mit Gerinne und Geräteaufstellung. Der Rastaman holt sich die Skizzen mit kurzer Erläuterung, ergänzt, was nötig ist, damit die CAD-Konstrukteure in Mumbai arbeiten können. Parallel nochmal alles durchrechnen und auslegen. Kleine Optimierungen, aber kein wesentlicher Fehler zu finden.
Tag 3: Die Inder haben die Pläne fertig, wir prüfen, o.k. Der Schalplan wird vervollständigt und geht raus. Noch das Doku-Paket an Mr. Battle, der Flieger geht pünktlich am Nachmittag.
Fertig.
Nicht nur die Befeuchtung, auch der Planungsvorgang ganz nach meinem Geschmack. Doppelte Planung gemäß cci Artikel „TGA-Wirtschaftsforum: Es ging (wieder) ums große Ganze …“ (siehe cci Branchenticker vom 25. November 2019.
Kein Thema im Ausland.
Weitere Ideen? Wollen wir das Problem lösen, bevor die Wissenschaft uns beweist, was wir schon wissen? Nein. Für Schönheit gibt’s kein Geld!

Dipl.-Ing. Andreas Kettermann, PS³K Industrieklima GmbH, Rommerskirchen

3.
Zum Kommentar von Herrn Kettermann möchte ich hinzufügen: Eine weitere Lösung wurde nicht betrachtet. Nämlich die, den Volumenstrom auf Kosten des CO2-Gehalts zu begrenzen. Im Normenausschuss für die DIN 1946-6 habe ich vorgeschlagen, eine Rangfolge für die Messfühlersignale anzugeben. Das wurde abgelehnt. Eine vorrangige Regelung (und evtl. auch Auslegung) nach der Feuchte halte ich für geeigneter. Ein hoher CO2-Gehalt ist aus gesundheitlicher Sicht weniger kritisch, als eine zu geringe oder zu hohe Feuchte. Auch aus rechtlicher Sicht darf es nicht sein, dass ein gesundheitsgefährdende Lüftungsanlage geplant wird. Daher muss schon bei der Auslegung geprüft werden, ob die sich einstellende Feuchte zu gering werden kann und entsprechende Gegenmaßnahmen oder Bedenkenhinweise sind einzuleiten.

In einem Punkt stimme ich voll zu. Ingenieure müssen die Möglichkeit haben, situationsbezogen von einer Norm abzuweichen. Dazu bedarf es entsprechende Vereinbarungen im Planervertrag, was Auftraggeber jedoch nicht so gerne sehen.
Die Vetragsgestaltung wird dadurch komplizierter und der Weiterverkauf des Objektes schwieriger. Andererseits muss man sich die Frage stellen, ob die Bedeutung einer Norm, insbesondere die Vermutungsannahme einer a.R.d.T, noch heute aufrecht zu erhalten ist. Wenn der Einfluss der Hersteller auf die Normgestaltung immer größer wird und die Einspruchsfristen immer kürzer, kann von einem Konsens in der gesamten Fachwelt keine Rede mehr sein. So zeigt auch die Möglichkeit einer kaufbaren „DIN SPEC“ den Trend, dass Hersteller mit Hilfe
einer „Norm“ die Wirtschaft ankurbeln können. Leider kann das auch zu Lasten der Effizienz, der Gesundheit und bezahlbarer Mieten gehen.
Wie war das eigentlich früher, als es noch keine Normen gab und ingenieurmäßige Entscheidungen projektbezogen getroffen wurden?
Dipl.-Ing. Norbert Nadler, Ing.-Büro CSE Nadler, Oranienburg

Artikelnummer: cci82081

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