Meinung: Sind 0,7 % Emissionsüberschreitung ein Desaster?

Dr. Manfred Stahl, manfred.stahl@cci-dialog.de (Abb. © cci Dialog GmbH)
Dr. Manfred Stahl, manfred.stahl@cci-dialog.de (Abb. © cci Dialog GmbH)

Anfang Januar waren Schlagzeilen wie „Deutschland hat 2022 erneut die Klimaschutzziele verfehlt“ Top-Meldungen in vielen Radio- und TV-Sendungen sowie Zeitungsberichten. Ja, Deutschland hat 2022 die Vorgaben zu Emissionsminderungen nicht eingehalten. Aber meiner Meinung nach hätten die Medien ihre leider meist sehr knappen und pauschalisierenden Beiträge, die stark nach einem klimatechnischen Desaster klingen, zumindest um einige sehr wichtige Faktoren ergänzen sollen.

Am 16. Januar hat cci Branchenticker die von der Agora Energiewende erstellten Ergebnisse zu Energieverbräuchen und Emissionen in Deutschland im Jahr 2022 in einem Beitrag zusammengefasst: Energiewirtschaft und Industrie haben ihre im Klimaschutzgesetz vorgegebenen Emissionsziele leicht unterschritten (- 6 Mio. t CO2), die Bereiche Gebäude (+ 5 Mio. t) und Verkehr (+11 Mio. t) lagen darüber. Insgesamt wurden 2022 rund 756 Mio. t CO2 emittiert. Das sind 0,7 % weniger als 2021, aber 0,7 % mehr als nach Klimaschutzgesetz erlaubt.
Ich habe mal einige Freunde gefragt, was sie sich unter einer Schlagzeile „Klimaschutzziel verfehlt“ vorstellen können: Bei „in etwa 10 %“ lag der Durchschnittswert. Als ich ihnen dann sagte, dass wir hier über real 0,7 % reden, waren sie deutlich entspannter. Zudem bewegt sich angesichts der enormen Komplexität der Erhebung solcher Energie- und Emissionsdaten für mich als Ingenieur eine Angabe „0,7 %“ im Rahmen der Mess- und Erfassungsgenauigkeit.
Ich meine, hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Bei all den Krisen, die Deutschland im Jahr 2022 bei der Energiebeschaffung, zur Sicherung der Energieversorgung und beim Umstellen zum Beispiel der Stromerzeugung (weg vom Gas, hin zu Kohle, Abschalten von Atomkraftwerken, Versorgung von Frankreich mit Strom) bewältigen musste, werte ich ein Verfehlen der Emissionsminderungsziele um 0,7 % eher als einen relativen Erfolg denn als Rückschlag für den nationalen Klimaschutz.
Das soll nun aber nicht bedeuten, dass wir uns nicht weiterhin massiv und auch mit hohem Tempo um den enorm wichtigen Klimaschutz bemühen müssen. Um die vorgegebenen Ziele zu erreichen, müssen alle Möglichkeiten inklusive Gesetzen, Verordnungen, Verboten und Fördermaßnahmen eingesetzt und ausgeschöpft werden. Das mahnt auch die Agora Energiewende in ihrem Bericht sehr deutlich an. Aber ich hätte eine Überschrift „Deutschland konnte 2022 trotz Energiekrisen die Emissionen um fast 1 % verringern“ (oder ähnlich) als fairer empfunden – und eine solche Meldung wäre ja faktisch auch korrekt gewesen. Oder was meinen Sie dazu?

Beste Grüße
Ihr Dr.-Ing. Manfred Stahl
manfred.stahl@cci-dialog.de

cci193121

7 Kommentare zu “Meinung: Sind 0,7 % Emissionsüberschreitung ein Desaster?

  1. Ich kann nicht verstehen wie man um 0,7% solch ein Drama machen kann. Nur mal so am Rande. Etwas mehr als 95% aller CO2 Emissionen auf der Welt kommen aus den Weltmeeren, der Mensch hat also bei nicht einmal 4% die Finger im Spiel. Weitere Quellen sind Vulkane etc.! Die großen CO2 Emittenten sind China, USA und Indien. Unser Anteil liegt weltweit betrachtet bei weniger als 2%. Und manchmal frage ich mich bei aller Hysterie, ob sogenannte Klimaretter überhaupt wissen worüber sie denn reden? Der Anteil von CO2 in der Luft hat sich in den letzten 250 Jahren von 0,032% auf 0,04% erhöht, worüber reden wir?
    Der Großteil unserer Troposphäre besteht zu 78% aus Stickstoff und 21% Sauerstoff, daran wird sich auch kaum was ändern.
    Und noch was. CO2 ist ein lebenswichtiges Gas, jeder tut so als ob es ein Gift wäre aber unsere Pflanzen brauchen es um lebenswichtigen Sauerstoff herzustellen. Ich denke hier wird viel zu oft Panik gemacht und die Fakten außer Acht gelassen.
    Wenn jetzt jemand kommt und das Unglück im Ahrtal der Klimaveränderung zuzuschreiben dann sollte er mal die letzten Jahrhunderte sich anschauen was da so alles passiert ist. Klimaveränderungen gab es schon immer und wird es immer geben.

    1. Woher kommt denn die Idee, 95% aller CO2-Emissionen kämen aus dem Meer? Aktuell ist das Meer eine CO2-Senke. Das hat u. a. zur Folge, dass es versauert und z. B. den Korallen der Garaus gemacht wird.
      Und was Deutschlands CO2-Emissionen betrifft, so liegen wir auf Platz 4 von 194 Ländern, wenn man alle Emissionen seit 1750 aufsummiert. Aktuell liegen wir immerhin noch auf Platz 6!!! (Sven Plöger: Zieht euch warm an, es wird heiß, Westendverlag 2020).
      Und natürlich gab es auch schon ganz andere Klimata auf der Welt. Aber da lebte hier nichts! Und wenn noch mehr solche Querdenker kommen, dann wird in absehbarer Zeit auch nicht mehr viel leben hier.

  2. Lieber Herr Stahl,
    leider lässt Ihr Kommentar erkennen, dass Ihnen die Klimaschutzproblematik noch nicht so richtig bewußt ist. ich kann dem anonymen Kommentar nur aufs tiefste Beipflichten. Deutschland hält seit Jahren seine Klimaschutzziele nicht ein, es sei denn es gibt „Sondereffekte“ wie Corona oder Ukrainekrieg, die sich auf die Wirtschaft und Verkehr auswirken.
    Die eigentliche viel größere Problematik ist aber, das die Klimaschutzziele nicht ausreichen, um die Paris-Ziele zu erreichen, d.h. wir überschreiten regelmäßig, die gesetzten Ziele, die per se schon zu niedrig sind.
    Nun zu dem was Ihnen und den wenigsten anderen klar zu sein scheint:
    Wir sprechen von einem CO2-Budget, das wir noch zur Verfügung haben, um eine bestimmte Erderwärmung einzuhalten, da sich CO2 nicht verflüchtig, sondern immer weiter in der Atmosphäre anreichert. Jedes kg das wir ausstoßen erhöht die Gleichgewichtstemperatur der Erde ein bisschen. Wir haben weltweit insgesamt noch 247 GT, die wir für die 1,5 K Grenze emittieren können – ca. 42 GT emittiert die Menschheit derzeit pro Jahr.
    Praktisch heißt das, die 0,7% die wir letztes Jahr zu viel ausgegeben haben, müssen wir dieses Jahr zusätzlich einsparen. Wir müssen zur planmäßigen Reduzierung also nochmal 1,4% drauf packen (0,7% um das letzte Jahr auszugleichen + 0,7% die wir ja zu hoch waren). Dazu kommen noch die ganzen verfehlten Jahre davor, die sehr oft wesentlich höher waren….
    Wie wir inzwischen auch gelernt haben, ist Mutter Natur eine sehr harte Schuldeneintreiberin, wir sollten es uns also nicht mit Ihr verscherzen!

  3. Hallo Herr Stahl,

    eigentlich bin ich weder ein Mensch der Artikel kommentiert, noch jemand der sich an der Straße fest klebt.
    Dennoch hat mich Ihr Artikel derart angetriggert, dass ich Ihnen nun schreibe.
    Vielleicht haben wir das Ziel „nur“ um 0,7% verfehlt. Das sind aber 0,7%. Zu schnell gefahren und geblitzt ist auch zu schnell gefahren und geblitzt. Da gibt’s nix dran zu beschönigen. Das entscheidende ist aber, dass es das MAXIMAL zulässige Limit ist. Es ist nicht ein Mittelwert. Es ist nicht eine Orientierung. Das Maximum ist Überschritten!
    Ich bin im Katastrophenschutz seit über 20 Jahren aktiv und sehe an meinen Einsatzstunden die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels sehr konkret. Hier einen beschönigenden Artikel zu verfassen, der die 0,7 % Überschreitung versucht zu relativieren, erwarte ich nicht aus der gesellschaftlichen Mitte.
    Solche Artikel sind das Öl ins Feuer. Sie müssen nicht in Lützerath demonstrieren oder auf der Straße kleben. Aber Faktenrelativierende Artikel müssen Sie bitte in der Öffentlichkeit unterlassen.
    Die Klimaveränderung ist derart extrem und schnell, dass Sie dafür werben sollten das Klimaziel eher um 50% zu unterschreiten.

  4. Moin Herr Dr. Stahl,
    das Desaster ist eher die zunehmend tendenziöse Berichterstattung. Auch wenn es suggestiv ist: Wo wären unsere Emissionen gelandet, wenn Russland die Ukraine nicht angegriffen hätte?
    Die Tatsache, dass wir unseren Gesamtenergieverbrauch um fast 5% gemindert haben ist meiner Auffassung nach ein dickes Brett, das unsere Gesellschaft 2022 gebohrt hat. Dass wir in Deutschland in weniger als einem Jahr ein Flüssiggas Terminal gebaut haben ist ebenfalls ein Brett. Ich glaube es war Dieter Nuhr, der mal gesagt hat: „Unter der Weltrettung tut’s der Deutsche nicht.“

    Mit freundlichen Grüßen

    Arne Bast

  5. In Deutschland (und Europa) haben wir bisher sehr viel über Reduktionsziele gesprochen und uns in den letzten Jahren mit Steigerungen überboten (fit for 55, CO2-neutral bis 2050, 2045, Kohleausstieg 2030, …).
    Alleine, durch die Formulierung der Ziele wird kein Gramm CO2 eingespart. Daher ist ein kritischer Blick auf die realen Zahlen sehr wichtig. Die Fehlertoleranz ist vermutlich in allen untersuchten Jahren ähnlich, so dass der relative Trend schon ziemlich genau sein dürfte. Ich verfolge in den letzten Jahren, dass vergleichsweise wenig passiert und alle sagen bis 2030 (nächstes Zwischenziel) ist es ja noch lange hin. Dadurch müssten wir die momentan sehr flache Reduktionskurve zum Ende des Jahrzehnts ziemlich stark nach unten „biegen“. Das erfordert dann harte Einschnitte, die sich Politik und Gesellschaft zutrauen und verdauen müssen. Daher ist es wichtig, jetzt schon sehr kritisch auf den Pfad zu schauen und verfehlte Werte klar zu benennen. Das ist noch keine Panik, aber eine große Sorge um unsere Energiewende. cci hat ja schon an mehreren Stellen aufgezeigt, dass der Weg kein Spaziergang wird (Fachkräftemangel, F-Gas-Verordnung, Materialverfügbarkeit, Akzeptanz,…).

  6. Wenn die Emissionen um 0,7% unter denen des Vorjahres 2021 lagen, aber auch 0,7% über dem Ziel für 2022, dann würde ich sagen, wir haben das Ziel um ganze 50% verpasst. Und das ist dann schon ein Desaster, vor allem vor dem Hintergrund, dass gerade im vergangenen Jahr unter dem Einfluss der Energiekrise sogar Leute angefangen zu sparen, die vorher noch nie etwas von dem Problem gehört hatten. Und wenn wir jetzt mal hochrechnen, wo wir dann 2030 ankommen werden wenn das in dem Schneckentempo weitergeht, so kann man mit Fug und Recht von einem Desaster sprechen. Peter Rietschel

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